Community statt Glaskugel: Euer Feedback zur Zukunft des digitalen Publizierens

0 Veröffentlicht von Caroline Jansky am

von Patrick Dinger, Jan Horstmann, Caroline Jansky, Thomas Jurczyk, Timo Steyer (AG Digitales Publizieren)

Die Umfrage

Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens wagte die DHd-Arbeitsgruppe Digitales Publizieren auf der DHd2024 in Passau einen Blick in die Zukunft: Ein interaktives Poster (Dinger et al. 2024a) im Rahmen der DHd2024 präsentierte – neben einem Rückblick auf die wichtigsten Meilensteine der AG-Arbeit seit 2014 – fünf Thesen zur Zukunft des (digitalen) Publizierens, die innerhalb der Community zur Diskussion gestellt wurden. Mit Hilfe einer interaktiven Onlineumfrage konnte vor Ort hinsichtlich der persönlichen Einstellung zu den Thesen und der Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung abgestimmt werden.

Für die Umsetzung der Umfrage haben wir das deutschsprachige Online-Tool Particify genutzt. Es ermöglicht eine niedrigschwellige Teilnahme, z. B. indem die persönliche Einstellung zu den Thesen direkt mit einem Emoji ausgedrückt wird. Die Exportoptionen der Daten bei Particify erlauben allerdings keine Korrelationsanalyse, ob etwa die ablehnende Haltung eines Teilnehmenden gegenüber einer bestimmten These auch mit einer geringer eingeschätzten Wahrscheinlichkeit der Realisierung dieser These einhergeht.

Nachdem die Rückmeldungen auf die Umfrage während der Konferenz eher verhalten waren – angesichts von insgesamt 64 Postern nicht verwunderlich – nutzten wir die Möglichkeit, im Anschluss über die DHd-Mailingliste sowie die Mailingliste der AG Digitales Publizieren noch einmal gezielt für die Teilnahme an der Umfrage zu werben: Verschickt wurden die Aufrufe am 08.03.2024, die Umfrage wurde wie angekündigt am 23.04.2024 geschlossen und ausgewertet. In diesem Zeitraum nahmen 114 Personen an der Umfrage teil, von denen 101 Personen den Fragebogen vollständig beantwortet haben. Mit der Veröffentlichung des Umfragelinks über die DHd-Mailingliste und die AG-Liste lässt sich der Kreis der Teilnehmenden auf die deutschsprachige DH-Community eingrenzen, wobei es sich dabei um Personen mit unterschiedlich großem Interesse an dem Thema und divergierenden Erfahrungen im Bereich des digitalen Publizierens handeln dürfte. Vor diesem Hintergrund sind die Umfrageergebnisse zwar nicht repräsentativ, erlauben aber dennoch wichtige Einsichten. Allen Teilnehmenden der Umfrage möchten wir ganz herzlich danken – das große Interesse und die zahlreichen Rückmeldungen bestärken uns in der AG-Arbeit und liefern wichtige Hinweise zu den drängendsten Fragen und Anliegen zum digitalen Publizieren in der Community. Diesen Blogbeitrag nutzen wir dazu, die Ergebnisse der Umfrage, erste Interpretationsansätze und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die Arbeit der AG vorzustellen. Wir möchten den Beitrag explizit zur Diskussion stellen und freuen uns über Ergänzungen, Kommentare, Kritik und Feedback.

These 1: Die AG Digitales Publizieren streicht ›Digital‹ aus ihrer Benennung

Die Ergebnisse der Umfrage zur 1. These
114 Antworten
These 1: Die AG Digitales Publizieren streicht "digital" aus ihrer Benennung.

Publikationskompetenz als wissenschaftliche Schlüsselkompetenz wird unabhängig von der Frage nach dem Publikationsmedium: Digitales Publizieren wird zum Normalfall, das gedruckte buch doer Heft zur bibliophilen Kostbarkeit. Publizieren ist in Zukunft immer digital.

Wie ist deine Haltung dazu: 

a) Sehr positiv 30 %
b) eher positiv: 27 %
c) neutral: 21 %
d) eher negativ: 14 %
e) sehr negativ: 5 % 
keine Antwort: 3 %
Abb. 1: Haltungen der Teilnehmenden zur ersten These
Die Ergebnisse der Umfrage zur 1. These
114 Antworten
These 1: Die AG Digitales Publizieren streicht "digital" aus ihrer Benennung.

Publikationskompetenz als wissenschaftliche Schlüsselkompetenz wird unabhängig von der Frage nach dem Publikationsmedium: Digitales Publizieren wird zum Normalfall, das gedruckte buch doer Heft zur bibliophilen Kostbarkeit. Publizieren ist in Zukunft immer digital.

Hältst du diese Entwicklung für wahrscheinlich?

a) ja: 45 % 
b) nein: 55 %
Abb. 2: Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit der in These 1 skizzierten Entwicklung

Auch wenn aktuell noch stark hybrid publiziert wird, war es für uns keine gewagte These, angesichts von Open Access und Open Science von einer zukünftigen Digital-Only-Publikationswelt auszugehen. Für eine Durchsetzung des digitalen Formats sprechen sowohl ökonomische und ökologische Gründe als auch der einfachere Zugriff, höhere Zitationsraten, gesteigerte Interaktivität sowie die Möglichkeit der Ergänzung durch andere Formate wie Forschungsdaten oder Software. Die Antworten zeigen jedoch ein geteiltes Bild: Zwar teilen über die Hälfte der Befragten die Aussage, dass das Publizieren in Zukunft immer digital sein wird. Allerdings hält auch eine knappe Mehrheit das Streichen von digital aus dem AG-Namen für unwahrscheinlich.

Während wir die generelle Zustimmung zur These durchaus erwartet haben, da die Zunahme von digitalen Publikationsangeboten bereits in der Breite der Community wahrgenommen wird, überrascht uns doch die Skepsis gegenüber dem Ändern des AG-Namens. Dies kann aber auch damit zusammenhängen, dass der Begriff ›Publizieren‹ ohne das Adjektiv ›digital‹ traditioneller klingt und auch den Bezug zu den Digital Humanities verliert. Es könnte daher auch als Rückschritt wahrgenommen werden. Man könnte auch sagen: Solange die Digital Humanities ihren Namen nicht ändern, wird es bei der AG Digitales Publizieren bleiben.

Für uns stellt sich auch die Frage, ob wir in Zukunft nicht eher eine neue Abgrenzung zwischen Digital-Publikationen in ›klassischer‹ Text/Bild-Form gegenüber enhanced publications erleben werden, sodass die Trennlinie nicht mehr zwischen gedruckten und digitalen Publikationen, sondern zwischen statischen, textbasierten Veröffentlichungen und multimodalen, interaktiven und vernetzten Publikationsformen verläuft.

These 2: Es entsteht eine große Bandbreite an Publikationsformaten, die nicht nur die Lesenden, sondern auch die maschinelle Verarbeitung im Blick haben

Ergebnisse der Umfrage zu These 2: 

108 Antworten
These 2: Es entsteht eine große Bandbreite an Publikationsformaten, die nicht nur die Lesenden, sondern auch die maschinelle Verarbeitung im Blick haben

Obwohl schon häufiger tot gesagt, ist PDF derzeit noch das meistverbreitete Publikationsformat, das die analoge Leseerfahrung in den digitalen Raum zu verlagern versucht. Dabei wird auf digitale Features wie Maschinenlesbarkeit oder eine anpassbare Darstellung verzichtet. In Zukunft setzen sich jedoch sogenannte One-Source-Publishing-Ansätze stärker durch, bei denen eine autoritative Kerndatei automatisiert in beliebig viele andere Formate wie PDF, HTML und XML (JATS) transformiert werden kann. So werden die Veröffentlichungen durch die verbesserte Maschinenlesbarkeit selbst zu einer potenziellen Quelle für computergestützte Analysen.

Wie ist deine Haltung dazu?

a) Sehr positiv: 64 %
b) eher positiv: 25 %
c) neutral: 6 %
d) eher negativ: 3 %
e) sehr negativ: 1 % 
keine Antwort: 1 %
Abb. 3: Haltungen der Teilnehmenden zur zweiten These
Ergebnisse der Umfrage zu These 2: 

106 Antworten
These 2: Es entsteht eine große Bandbreite an Publikationsformaten, die nicht nur die Lesenden, sondern auch die maschinelle Verarbeitung im Blick haben

Obwohl schon häufiger tot gesagt, ist PDF derzeit noch das meistverbreitete Publikationsformat, das die analoge Leseerfahrung in den digitalen Raum zu verlagern versucht. Dabei wird auf digitale Features wie Maschinenlesbarkeit oder eine anpassbare Darstellung verzichtet. In Zukunft setzen sich jedoch sogenannte One-Source-Publishing-Ansätze stärker durch, bei denen eine autoritative Kerndatei automatisiert in beliebig viele andere Formate wie PDF, HTML und XML (JATS) transformiert werden kann. So werden die Veröffentlichungen durch die verbesserte Maschinenlesbarkeit selbst zu einer potenziellen Quelle für computergestützte Analysen.

Hältst du diese Entwicklung für wahrscheinlich?

a) ja: 84 % 
b) nein: 16 %
Abb. 4: Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit der in These 2 skizzierten Entwicklung

Die Umfrageergebnisse zeigen eindeutig, dass eine größere Verbreitung von Single-Source-Publishing Ansätzen und die damit einhergehende Verbreitung von maschinenlesbaren Publikationsformaten als positiv und wahrscheinlich angesehen werden.

Obwohl keine Daten zu konkreten Hintergründen der befragten Personen vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Teilnehmer*innen wahrscheinlich technikaffin sind und entsprechend ein gesteigertes Interesse an Publikationen in maschinenlesbaren Formaten für die eigene computergestützte Forschung mitbringen. Handelt es sich somit bei den Umfrageergebnissen um ein überproportional vertretenes Wunschdenken einiger weniger Enthusiast*innen, das bereits im AG Working Paper von 2021 (AG Digitales Publizieren 2021) formuliert wurde, aber bisher zumindest in der Breite zu eher übersichtlichen Veränderungen in der Publikationspraxis geführt hat? Zumindest die auch in absoluten Zahlen relativ hohe Teilnahmequote der Umfrage zeigt, dass die Forderung nach zunehmender Verbreitung nativ-digitaler Publikationsformate mindestens kein Randphänomen mehr ist. Und selbst wenn es sich derzeit noch um ein primär innerhalb der DH-Community verbreitetes Anliegen handeln sollte, wird dies mittel- bis langfristig auch zu Änderungen in der Publikationspraxis führen. Dies liegt daran, dass viele der Befragten selbst publizieren und/oder verlegen und es dank der genannten Single-Source-Publishing-Ansätze nicht mehr um ein Entweder-Oder, sondern vielmehr um ein Sowohl-als-Auch geht.

Nicht die Umstellung von PDF auf ein XML-Format wird also zu einer größeren Verbreitung von maschinenlesbaren Publikationsformaten führen, sondern vor allem die zunehmende Verbreitung sogenannter Single-Source-Publishing Ansätze (z.B. mit Hilfe von Pandoc) wird dazu beitragen, dass neben dem gewohnten PDF ohne großen zusätzlichen Aufwand weitere Formate wie HTML, XML/JATS, LaTeX, Markdown und mehr angeboten werden können. Damit können die Veröffentlichungen durch die verbesserte Maschinenlesbarkeit selbst zu einer potenziellen Quelle für computergestützte Analysen werden, ein flexibleres Leseerlebnis bieten und trotzdem auch weiterhin als PDF angeboten werden.

These 3: Anwendungen des Machine-Learnings sind integraler Bestandteil von Prozessen des wissenschaftlichen Schreibens, Reviewings, der Redaktion und des Layouts

Die Ergebnisse der Umfrage zur 3. These

 102

Antworten

These 3: Anwendungen des Machine-Learnings sind integraler Bestandteil von Prozessen des wissenschaftlichen Schreibens, Reviewings, der Redaktion und des Layouts.

Nach der Verfügbarmachung von LLMs durch Anwendungen wie ChatGPT nahmen Diskussionen um die Integration „Künstlicher Intelligenz“ auch in wissenschaftliche Arbeits- und Publikationsprozesse Fahrt auf. In Zukunft nehmen Text- und Bildgeneratoren sowie Prompt-Engineering einen festen Platz in der wissenschaftlichen Arbeit ein. Offene KI-Anwendungen werden Community-basiert so verbessert, dass die generierten Informationen durch Verknüpfungen mit gewährleisteten Wissensressourcen nachvollziehbar sind. Außerdem wird die wissenschaftliche Gemeinschaft Standards des Umgangs mit KI-Tools etablieren und setzt automatisierte Generierung in Teilprozessen so ein, dass sie die wissenschaftliche Integrität von Texten und Visualisierungen nicht durch ungesichertes, nicht belegbares Wissen kontaminiert.

Wie ist deine Haltung hierzu?

a) Sehr positiv 18 %
b) eher positiv: 43 %
c) neutral: 25 %
d) eher negativ: 9 %
e) sehr negativ: 5 % 
keine Antwort: 1 %
Abb. 5: Haltungen der Teilnehmen zur dritten These
Ergebnisse der Umfrage zu These 3:  101

Antworten

    These: Anwendungen des Machine-Learnings sind integraler Bestandteil von Prozessen des wissenschaftlichen Schreibens, Reviewings, der Redaktion und des Layouts.

Hältst du diese Entwicklung für wahrscheinlich?

a) ja 83 %
b) nein 17 %
Abb. 6: Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit der in These 3 skizzierten Entwicklung

Auch auf der DHd-Konferenz in Passau waren LLMs das beherrschende Thema in vielen Vorträgen, Panels, Workshops und Diskussionen bis hin zur Gründung der neuen Arbeitsgruppe Angewandte Generative KI in den Digitalen Geisteswissenschaften (AGKI-DH). Die Umfrageergebnisse zeigen eine deutliche Mehrheit im Feld der zustimmenden Haltung gegenüber dieser Entwicklung. Noch positiver ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit der skizzierten Entwicklung beantwortet worden.

Die ausgeprägt zustimmende Haltung gegenüber der Integration von LLMs in wissenschaftliche Publikationsprozesse lässt sich vermutlich ebenfalls mit den Hintergründen und Grundhaltungen der – in der Regel als eher technikaffin bekannten – DHd-Mitglieder bzw. Empfänger*innen der adressierten Mailinglisten erklären und fiele in eher traditionellen Kreisen geisteswissenschaftlicher Disziplinen vermutlich anders aus. Die sogenannte Künstliche Intelligenz wird in den DH stärker als Implementierung bestimmter Machine-Learning-Algorithmen und damit als für die eigenen Zwecke nutzbares und tendenziell hilfreiches, jedenfalls weniger bedrohliches Werkzeug verstanden. Zudem ist in den DH das Schreiben eines Papers häufig ›nur‹ die Dokumentation des eigentlichen Forschungsprozesses und weniger selbst als z.B. argumentierender, theoretisierender etc. Beitrag der Hauptaspekt der Forschung, wie es in nicht-digitalen geisteswissenschaftlichen Disziplinen häufig der Fall ist. Zudem leidet die Forschung weniger unter Restriktionen im Umgang mit LLMs als die Hochschullehre, die an vielen Standorten durch Eingriffe und Vorgaben der Hochschulleitungen in der Anwendung von LLMs und Machine Learning streng begrenzt wird. Die affirmative Haltung zum Einsatz von LLMs bei der Publikation von Forschungsbeiträgen ließe sich also auch als Gegenbewegung zu sonstigen Begrenzungen interpretieren. 

Immerhin scheint jedoch auch im DH-Bereich noch ein Viertel der Teilnehmenden nicht zu einer eindeutigen positiven oder negativen Einschätzung gekommen zu sein. Einen Grund dafür sehen wir darin, dass wir in unserer These mehrere Aspekte berühren, zu denen Teilnehmende vielleicht divergierende Meinungen haben, aber nur eine Gesamtantwort geben konnten. So könnte man dem Aspekt einer offenen, Community-basierten Variante von LLMs positiv gegenüber stehen, um nicht zuletzt eine »explainable AI« zu erreichen, die Integration in sämtliche Arbeitsprozesse des Publizierens aber kritisch sehen. »Explainable AI« kann dabei als Dachkonzept für verschiedene Aspekte verstanden werden, wie etwa »(i) data explainability, (ii) model explainability, (iii) posthoc explainability, and (iv) assessment of explanations« (Ali et al. 2023, Abstract).

Auch zur inhärenten Frage, ob und wie wir zukünftig mit kommerziellen LLM-Anbietern kooperieren wollen, gibt es divergierende Meinungen, die zu einer neutralen Gesamteinschätzung geführt haben können. Das brandaktuelle Thema um ›KI‹ muss sich aus seinem momentanen Hype-Status hinausentwickeln, damit wir auf Grundlage konkreter Erfahrungen zu belegbaren Einschätzungen kommen können.

These 4: Der Tod der individuellen Autorschaft steht kurz bevor

Ergebnisse der Umfrage zu These 4: 
 101

Antworten

These 4: Der Tod der individuellen Autorschaft steht kurz bevor.

Durch die Öffnung von Publikationsprozessen bestehen die Möglichkeit und der Anspruch, Art und Umfang der Beteiligung an einem Forschungsergebnis transparent öffentlich darzustellen. Das Prinzip „Autorschaft“ hat damit schon bald ausgedient: Stattdessen rückt die präzise Benennung des jeweils individuellen Beitrags zu einer kollaborativen Publikation in den Mittelpunkt.

Wie ist deine Haltung hierzu?

a) Sehr positiv 22 %
b) eher positiv: 20 %
c) neutral: 28 %
d) eher negativ: 20 %
e) sehr negativ: 10 % 
keine Antwort: 1 %
Abb. 7: Haltungen der Teilnehmenden zur vierten These
Ergebnisse der Umfrage zur 4. These: 

 101

Antworten

    These: Der Tod der individuellen Autorschaft steht kurz bevor.

Hältst du diese Entwicklung für wahrscheinlich?

a) ja 18 %
b) nein 82 %
Abb. 8: Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit der in These 4 skizzierten Entwicklung

Die Ergebnisse der Einstellungsabfrage zur These der individuellen Autorschaft fallen im Vergleich zu den anderen deutlich ambivalenter und weniger positiv aus, die Diskrepanz zu den sehr niedrigen Ablehnungswerten bei anderen Fragen ist deutlich.

Ähnliches gilt für die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, dass diese Entwicklung eintritt: Hier zeigt sich die deutlichste Negativtendenz der gesamten Umfrage. Die DH-Community hält die Entwicklung, dass das Prinzip der individuellen Autorschaft bald ausgedient hat, also sowohl für ziemlich unwahrscheinlich als auch für eher weniger wünschenswert als andere Entwicklungen.

Der die These erläuternde Text zieht keine Querverbindungen zu den Thesen 3 und 5, wobei diese Thesen das Konzept der individuellen Autorschaft – These 3 im Spannungsfeld von intellektueller Leistung und Automatisierung, These 5 hinsichtlich des Produkts von Autorschaft – berühren und infrage stellen. Durch diese verkürzte Darstellung sowie die Tatsache, dass Autorschaft von Publikationen karriereentscheidend ist, könnte sich die ablehnende Haltung vieler Befragter erklären lassen. Zudem ist das Thema nicht neu oder gar unerforscht: Bereits Nyhan und Duke-Williams entlarven einerseits das »multi-authored Digital Humanities paper« und andererseits den/die »Humanities lone scholar« jeweils als Stereotype (Nyhan / Duke-Williams 2014, S. 387). Ihre Analyse zeigt, dass Einzelautorschaft auch in den Digital Humanities weiterhin die kollaborative Autorschaft (von zwei oder mehr Autor*innen) überwiegt (auch wenn leichte Trends zu mehr Kollaboration erkennbar sind) (vgl. Nyhan / Duke-Williams 2014, S. 395). Auch die Auswertungen der Beiträge der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG) sowie die (teilweise stichprobenartig ermittelte) von deren Redaktion erstellte Übersicht zu kollaborativer Autorschaft in sechs weiteren internationalen DH-Journals (Zeitraum: 2015 bis 2023) zeigen zumindest kein einheitliches Bild: In den meisten Fällen halten sich Einzel- und kollaborative Autorschaft weitgehend die Waage (vgl. Baumgarten et al. 2024a; Baumgarten et al. 2024b). Zudem wurden in beiden hier referenzierten Untersuchungen ausschließlich Beiträge in wissenschaftlichen Journals betrachtet, der in den Geisteswissenschaften weiterhin relevante Sektor der Monografien, zu dem auch der Bereich der zwingend in Einzelautorschaft erscheinenden Qualifizierungsarbeiten zählt, wurde völlig außer Acht gelassen. Von einem ›Abschaffen‹ der individuellen Autorschaft in den digitalen Geisteswissenschaften kann also tatsächlich keine Rede sein.

Die Disziplin ist dennoch geprägt von inter- und transdisziplinären Perspektiven und der Übertragung von methodischen Ansätzen aus anderen Wissenschaftsbereichen zur Erforschung geisteswissenschaftlicher Fragestellungen; dieses Überschreiten der Grenzen traditioneller Wissenschaftsbereiche führte anfänglich wahrscheinlich wirklich zu einem erhöhten Kollaborationsbedarf, da man auf die personelle Expertise aus unterschiedlichen Fachbereichen angewiesen war. Je länger die Disziplin besteht und je mehr eigene Lehrstühle und Studiengänge eingerichtet werden, desto eher ist zu erwarten, dass die erforderlichen Kompetenzen auch von Einzelpersonen erworben werden können, wodurch die Notwendigkeit von Kollaborationen möglicherweise abnimmt. Dem entgegen stehen allerdings Entwicklungen wie die vermehrte Anzahl von Forschungsverbünden und fächerübergreifenden Sonderforschungsbereichen, der »›small discipline‹ effect« (Nyhan / Duke-Williams 2014, S. 396) und verstärkte Bestrebungen zur internationalen Zusammenarbeit.

These 5: Es werden vermehrt Datensätze statt Texte publiziert

Ergebnisse der Umfrage zur 5. These: 

These 5: Es werden vermehrt Datensätze statt Texte publiziert.

Mit den neuen Möglichkeiten, Forschungsdaten zu veröffentlichen und zu beschreiben, verändert sich auch die Art, wie in den Digital Humanities publiziert wird. Die neue Publikationskultur setzt verstärkt auf offene Micro-Formate, Zeitschriftenartikel und Repositorien. Über Plattformen können Forschungsdaten und Ergebnisse zusammengefasst, Darstellungen von Forschungsprozessen als vollwertige digitale Publikation und Vertrauen stiftende Datenquelle akzeptiert werden – ein Trend, der sich bereits jetzt andeutet.

Wie ist deine Haltung hierzu?

a) Sehr positiv 34 %
b) eher positiv: 42 %
c) neutral: 18 %
d) eher negativ: 3 %
e) sehr negativ: 4 %
Abb. 9: Haltungen der Teilnehmenden zur fünften These
Ergebnisse der Umfrage zur 5. These:  101

Antworten

    These: Es werden vermehrt Datensätze statt Texte publiziert.

Hälst du diese Entwicklung für wahrscheinlich?

a) Ja 66 %
b) Nein 34 %
Abb. 10: Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit der These 5 skizzierten Entwicklung

Wenn wir die Genese des Book of Abstracts der DHd-Konferenzen von Konferenzabstracts in einem ›gebundenen Buch‹ über Micro-Veröffentlichungen hin zu wissenschaftlichen Publikationen betrachten, wird die Veränderung digitalen Publizierens deutlich (vgl. Helling et al. 2022). Daher verwundert es nicht, dass die meisten der Befragten die künftig stärkere Zunahme der Publikation von Datensätzen als wahrscheinlicher einschätzen als die von Texten.

Hinzu kommt, dass Forschungsdaten im Zuge wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse an vielen Stellen entstehen. Während bei der Erstveröffentlichung des Grundlagenwerks Digital Humanities. Eine Einführung Forschungsdaten als »extensivere Publikationstätigkeit als dies unter naturgemäß begrenzten Druckbedingungen gegeben« gesehen wurden, die »vorstellbar und zur Zeit schon sporadisch praktiziert« (Kohle 2017, S. 201) werde, hat sich die Kultur des Publizierens in den Digital Humanities tatsächlich in die prognostizierte Richtung weiterentwickelt. Die Publikation von Forschungsdaten ist ein wichtiger Beitrag zur Überprüfbarkeit der Datengrundlage und damit der Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2022).

Außerdem wird vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen (vgl. Wissenschaft im Dialog 2023) die Offenlegung der Quelldaten einer Arbeit als vertrauensstiftende Maßnahme in die Wissenschaft betrachtet (vgl. Mößner 2022). Hinzu kommt, dass unstrukturierte Datensätze durch den Einsatz von ›KI‹ oder Big-Data-Methoden (vgl. Gelfert 2022) leichter selbst zum Forschungsgegenstand werden können. Die Entwicklung neuer Analysemethoden wiederum kann Rückwirkungen darauf haben, in welcher Art und in welchem Umfang Primär- und Forschungsdaten publiziert werden. Damit einhergehend steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft auch vermehrt Datensätze veröffentlicht werden. Ob klassische Formen des Publizierens wissenschaftlicher Texte dabei allerdings abgelöst oder nur ergänzt werden, wird die Zukunft zeigen.

Zusammenfassung der Ergebnisse 

Publizieren verändert sich (vgl. Cremer 2018). Diese Veränderungen möchte die AG Digitales Publizieren auch in Zukunft kritisch begleiten und für die DH-Community fruchtbar und nutzbar machen. Die von uns skizzierten Entwicklungen wurden von der Community insgesamt positiv bewertet und auch als wahrscheinlich angesehen. Sie beziehen sich allerdings auch auf Prozesse, die bereits begonnen haben bzw. sich schon längere Zeit abzeichnen – größere Überraschungen waren an dieser Stelle also nicht zu erwarten.

Allerdings gab es zwischen den einzelnen Thesen doch wahrnehmbare Unterschiede in der Einschätzung: Während beispielsweise Single-Source Publishing Ansätze und damit einhergehende zusätzliche Publikationsformate wie JATS/XML oder HTML als durchweg positiv und wahrscheinlich angesehen wurden, waren die Meinungen zum Einfluss von ›KI‹ auf den Publikationsprozess und zur Rolle individueller Autorschaft deutlich durchwachsener. Die Gründe hierfür sind wie dargestellt komplex und nicht bis ins Detail aufzulösen. Für das derzeit wohl einflussreichste und sich im stetigen Wandel befindliche Thema ›KI‹ erscheinen die Antwortmöglichkeiten zu undifferenziert und die Bedeutung, die individuelle Autorschaft nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Wissenschaftler*innen im Rahmen der individuellen Karriere hat, blieb in der These unterbelichtet. Insbesondere die wissenschaftspolitischen Implikationen der Wandlungen des Publikationssektors möchte die AG deshalb in Zukunft verstärkt und kritisch in den Blick nehmen. Hierzu findet am 8. und 9. Oktober 2024 in Darmstadt eine Tagung zum Thema Reputation ohne Paywall? Wissenschaftliches Publizieren im digitalen Wandel statt, die die AG anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens veranstaltet. Wir freuen uns über rege Teilnahme aus der Community.

Die genannten Thesen zur ›KI‹, zu multimodalen, datengetriebenen Publikationen und zur Rolle der Autorschaft sind außerdem durchaus miteinander verbunden, was der zunehmende Einfluss von LLMs auf den Schreib- und auch Analyseprozess auf die akademische Lehre und Forschung zeigt, der nicht zuletzt die individuelle Autorschaft infrage stellt. In Zukunft möchten wir deshalb die Zusammenarbeit mit anderen DHd-AGs, insbesondere der AG Angewandte Generative KI in den Digitalen Geisteswissenschaften sowie der AG Datenzentren intensivieren. Interne Gespräche, gemeinsame Veranstaltungen, Publikationen oder andere Formate sind dabei denkbar – wir melden uns bei euch! Dies wäre nicht nur für die Mitglieder der AGs von Interesse, sondern scheint zumindest der Umfrage nach zu urteilen auch für weitere Kreise innerhalb der DH-Community relevant zu sein.

Für die AG Digitales Publizieren selbst bedeuten die Ergebnisse kurz- bis mittelfristig, dass auch wir insbesondere den divers diskutierten Themen ›KI‹ und Autorschaft, zu denen es offensichtlich verstärkten Diskussions- und Klärungsbedarf gibt, mehr Raum geben wollen und unsere Angebote und Schwerpunkte entsprechend anpassen. Beginnen wollen wir damit, die oben aufgeworfene Frage nach der Rolle von ›KI‹ für die Autorschaft genauer zu untersuchen.

Bibliografie

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  • Sajid Ali / Tamer Abuhmed / Shaker El-Sappagh / Khan Muhammad / Jose M. Alonso-Moral / Roberto Confalonieri / Riccardo Guidotti / Javier Del Ser / Natalia Díaz-Rodríguez / Francisco Herrera: Explainable Artificial Intelligence (XAI). What We Know and What Is Left to Attain Trustworthy Artificial Intelligence. In: Information Fusion 99 (2023), Art. 101805. DOI: 10.1016/j.inffus.2023.101805
  • Marcus Baumgarten / Henrike Fricke-Steyer / Martin de la Iglesia / Caroline Jansky / Jonathan Schimpf / Martin Wiegand (2024a): Transparenz im Fokus. Die Publikationspraxis der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. Poster im Rahmen der DHd2024 (Passau, 26.02.2024 — 01.03.2024). 21.02.2024. DOI: 10.5281/zenodo.10706093
  • Marcus Baumgarten / Martin de la Iglesia / Caroline Jansky / Martin Wiegand / Jonathan Schimpf (2024b): Publikationspraxis der Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften 2015 bis 2023. Datenset. 26.02.2024. DOI: 10.17175/2015-2023_publikationspraxis-zfdg
  • Deutsche Forschungsgemeinschaft: Guidelines for Safeguarding Good Research Practice. Code of Conduct. 2022. DOI: 10.5281/zenodo.6472827
  • Fabian Cremer: Nun sag, wie hältst Du es mit dem Digitalen Publizieren, Digital Humanities? Eine retrospektive Gretchenfrage an die #DHd2018. In: Digitale Redaktion. Editorial zum digitalen Publizieren. 21.03.2018. Online: https://editorial.hypotheses.org/113
  • Patrick Dinger / Jan Horstmann / Caroline Jansky / Thomas Jurczyk / Timo Steyer (2024a): ›Roads? Where we’re going, we don’t need roads.‹ Die Zukunft des Publizierens. Poster im Rahmen der DHd2024 (Passau, 26.02.2024 — 01.03.2024). 21.02.2024. DOI: 10.5281/zenodo.10706061
  • Patrick Dinger / Jan Horstmann / Caroline Jansky / Thomas Jurczyk / Timo Steyer (2024b): ›Roads? Where we’re going, we don’t need roads.‹ Die Zukunft des Publizierens. Abstract im Rahmen der DHd2024 (Passau, 26.02.2024 — 01.03.2024). 21.02.2024. DOI: 10.5281/zenodo.10698293
  • Axel Gelfert: Gesellschaftliche Erwartungen an ›Big Data‹ in der Wissenschaft. Zur Mär vom ›Ende der Theorie‹. In: Nicola Mößner / Klaus Erlach (Hg.): Kalibrierung der Wissenschaft: Auswirkungen der Digitalisierung auf die wissenschaftliche Erkenntnis. Bielefeld 2022, S. 23–42. DOI: 10.1515/9783839462102-002
  • Patrick Helling / Anke Debbeler / Rebekka Borges: Konferenzbeiträge strategisch publizieren. Automatisierte Workflows zur individuellen Veröffentlichung von Konferenzbeiträgen am Beispiel des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum e.V. In: O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal 2022, H. 3, S. 1–17. DOI: 10.5282/o-bib/5835
  • Hubertus Kohle: Digitales Publizieren. In: Fotis Jannidis / Hubertus Kohle / Malte Rehbein (Hg.): Digital Humanities. Eine Einführung. Stuttgart 2017, S. 199–205.
  • Nicola Mößner: Wissenschaft in ›Unordnung‹? Gefiltertes Wissen und die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft. In: Nicola Mößner / Klaus Erlach (Hg.): Kalibrierung der Wissenschaft: Auswirkungen der Digitalisierung auf die wissenschaftliche Erkenntnis. Bielefeld 2022, S. 103–136. DOI: 10.1515/9783839462102-005
  • Julianne Nyhan / Oliver Duke-Williams: Joint and Multi-authored Publication Patterns in the Digital Humanities. In: Literary and Linguistic Computing 29 (2014), H. 3. 01.09.2014. DOI: 10.1093/llc/fqu018
  • Wissenschaft im Dialog: Wie sehr vertrauen Sie Wissenschaft und Forschung? Chart. In: Statista. 05.12.2023. Online: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1193534/umfrage/vertrauen-in-wissenschaft-und-forschung/

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