Hybrides Panel der DHd-AG Digitales Publizieren am 31.03.2022: „Druckst du noch? Visionen und Bastionen des (digitalen) Publizierens in den Geisteswissenschaften“
Tagungswebseite: https://projekt-auroa.de/digitales-publizieren/
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Einleitung
Die wissenschaftliche Publikation war über Jahrhunderte hinweg der Garant der Überlieferung von Wissenschaft und Kultur der jeweiligen Epoche. Immer wieder gab es technische und mediale Innovationen, die zu Umbrüchen führten, wie etwa der Wechsel von der Rolle zum Kodex im 4. Jahrhundert, die breite Einführung von Papier im Europa des 13. und 14. Jahrhunderts oder natürlich die Erfindung der Druckerpresse in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Mit der Wende zum digitalen Paradigma steht die Publikationslandschaft vor einem neuen Umbruch, der u. a. die Frage aufwirft, welche Kulturen des digitalen Gedächtnisses und welche Möglichkeiten einer digitalen Überlieferung am Ende dieses Prozesses greifen. Umbrüche dieser Art hatten und haben immer Auswirkungen auf die Wissenschaft selbst und insbesondere auf die Wissenschaftskommunikation – neben visionären Positionen gab es auch stets Bedenken und Widerstände gegenüber dem häufig als radikalen Umbruch verstandenen Wandel.
Auch wenn das digitale Publizieren den experimentellen Status längst überwunden hat, so sind dennoch bei weitem nicht alle Prozesse, Finanzierungsmodelle und Standards des digitalen Publizierens etabliert bzw. unterliegen einer permanenten Umgestaltung. Dies hat zum einen mit der Dynamik des digitalen Wandels und der damit verbundenen Ausweitung des Publikationsbegriffs auf neu entstandene Formate zu tun (vgl. Breuer / Trilcke 2021: 8f.). Zum anderen spiegelt sich darin aber auch die facettenreiche und sich weiter differenzierende Publikationslandschaft wider, die auch eine Neujustierung der im Publikationsprozess beteiligten Akteure:innen und ihrer Rollen bedingt (vgl. DHd AG Digitales Publizieren 2021). Diese neuen Entwicklungen erzeugen kontroverse Diskussionen, aber auch Unsicherheiten, weil viele Aspekte des digitalen Publizierens – von Fragen der Qualitätssicherung über die Bedeutung der Datafizierung von Publikationen bis zu Fragen der Finanzierung – neu verhandelt werden (vgl. Stäcker 2016). Plakativ formuliert, stellt sich die Frage: Wie wird in den Geisteswissenschaften richtig (digital) publiziert?
Das Panel wird wesentliche Diskussionspunkte des digitalen Publizierens aufgreifen und mit Stakeholdern aus Wissenschaft, Gedächtniseinrichtungen und Verlagen kritisch hinterfragen. Ziel ist es, die unterschiedlichen Standpunkte, Bedarfe und Perspektiven auszuloten und konstruktiv mit der Community zu diskutieren. Das Panel wird von der DHd AG Digitales Publizieren organisiert. Der Bedarf an einem Panel, in dem die genannten Stakeholder zusammenkommen, ergab sich nicht zuletzt als ein Ergebnis des Barcamps „Digitales Publizieren zwischen Experiment und Etablierung“ auf der DHd2020 (vgl. Neumann et al. 2019).
Leitfragen
Im Panel werden Vertreter:innen aus drei verschiedenen Kontexten miteinander diskutieren: Bibliothek, Verlag und Wissenschaft. Damit sind die relevanten Akteur:innen des wissenschaftlichen Publikationswesens im Panel vertreten. Ziel des Panels ist es, eine Diskussion zu führen, in der unterschiedliche Positionen und Erwartungen der Panelist:innen verdeutlicht und gleichzeitig Potentiale und mögliche Trennlinien des digitalen Publizierens im wissenschaftlichen Kontext aufgezeigt werden. Dabei soll und kann sicherlich keine Harmonisierung der unterschiedlichen Positionen erreicht werden – vielmehr wird die Herausarbeitung der unterschiedlichen Standpunkte, der damit verbundenen Interessen und Trennlinien angestrebt. Vorab hat die AG Digitales Publizieren ein Thesenpapier erstellt, an dem sich die Diskussion grob orientieren wird. Das Thesenpapier ist den Panelist:innen zur besseren Vorbereitung für die Paneldiskussion bekannt.
Die Thesen sind in drei Dimensionen aufgeteilt: (1) Publikationsplattformen und -formate, (2) Publikationen und wissenschaftliches Arbeiten und (3) Finanzierung und Geschäftsmodelle digitalen Publizierens.
Publikationsplattformen und -formate
Zeitgemäße digitale Publikationen müssen nicht nur erweiterbar sein um interaktive und multimediale Inhalte. Auch ganz neue Formate wie Daten- und Softwarepublikationen sollten stärker gefördert werden. Bislang fehlt es hier an Best-Practice-Beispielen aus dem Bereich der digitalen Geisteswissenschaften. Dabei stellt sich die Frage, ob z. B. Mikro- und Nanopublikationsformen (Blogs und Posts) in den kommenden Jahren die klassischen größeren Formate abgelöst haben. Ebenso muss diskutiert werden, ob nicht eine eigene digitale Buchkultur entwickelt werden sollte, in der auch lineare Leseflüsse aufgelöst werden (vgl. Kroll / Herr 2020: 156). Denn in ihrer Ästhetik und Struktur imitieren digitale Publikationen noch häufig gedruckte – und damit ungleich unflexiblere – Vorbilder.
Publikationen und wissenschaftliches Arbeiten
Wird der quantitative Faktor (Zitierhäufigkeiten und Impact-Faktor) in den Geisteswissenschaften zukünftig eine ähnlich zentrale Rolle spielen wie in den Naturwissenschaften? Welche digitalen Quellen können wie und in welcher Granularität wissenschaftlich referenzierbar gemacht werden? Wie können die unterschiedlichen Rollen der an kollaborativ verfassten Publikationen Beteiligten kenntlich gemacht werden? Der Qualitätssicherung kommt bei digitalen Publikationen ein erhebliches Gewicht zu; auch um dem Vorwurf der wissenschaftlich minderen Qualität digitaler Veröffentlichungen zu begegnen. Wer gewährleistet die Qualitätssicherung, etwa bei communitybasierten Ansätzen des Reviews? Schließlich bedürfen auch die einzelnen Schritte im Prozess des digitalen Publizierens einer Strukturierung und Aufteilung nach Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Schreibenden und publizierenden Instanzen.
Finanzierung und Geschäftsmodelle digitalen Publizieren
Die Zusammenarbeit von Bibliotheken und Verlagen im Kontext des Open-Access-Publizierens (u.a. in Form eines gebührenfreien Platin Open Access) bedarf einer Neujustierung, um zukünftig nicht mehr von großzügigen Förderungen von Drittmittelgebern abhängig zu sein. Zudem muss verhindert werden, dass die Wissenschaftsfreiheit von einer privatwissenschaftlichen Wissensindustrie ausgehöhlt wird, die den Bereich der Datenermittlung und -analyse (Aggregation und Weiterverwendung/-verkauf von Nutzerspuren) zu einem verlegerischen Geschäftsfeld entwickelt. Müssen Bibliotheken in diesem Kontext eine engagiertere Rolle spielen? Wie kann eine Sensibilisierung für das Datentracking in die Community herangetragen werden, so dass sich ggfs. Publikationsgewohnheiten anpassen (vgl. Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft: 2021)?
Teilnehmende
Am Panel nehmen Vertreter:innen aus den Bereichen der Autor:innen aus der Wissenschaft, der wissenschaftliche Verlage sowie der wissenschaftlichen Bibliotheken teil. Durch diese Zusammensetzung ist eine Vermessung des Feldes der digitalen Publikationslandschaft ebenso gewährleistet wie eine Diskussion aus unterschiedlichen Perspektiven. Durch die Praxisnähe der teilnehmenden Panelist:innen wird eine Einbindung der Community an die Diskussion gefördert.
Disskussionsteilnehmer:innen:
Sandy Lunau (WBG Media)
Karin Werner (transcript Verlag)
Thomas Ernst (University of Antwerp)
Ulrike Wuttke (FH Potsdam)
Organisiert und moderiert von der DHd AG Digitales Publizieren:
Constanze Baum (HU Berlin)
Jan Horstmann (ULB Münster)
Melanie Seltmann (ULB Darmstadt)
Thomas Stäcker (ULB Darmstadt)
Timo Steyer (UB Braunschweig)
Bibliografie
AG Digitales Publizieren (2021): “Digitales Publizieren in den Geisteswissenschaften: Begriffe, Standards, Empfehlungen“, in: Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG) / Working Papers DOI: 10.17175/WP_2021_001.
Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (2021): “Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage“ https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/datentracking_papier_de.pdf [letzter Zugriff 7. Juli 2021].
Breuer, Constanze / Trilcke, Peer (2021): “Die Ausweitung der Wissenschaftspraxis des Publizierens unter den Bedingungen des digitalen Wandels”, DOI: 10.48440/ALLIANZOA.041.
Kroll, Benedikt / Herr, Wiebke (2020): “Dynamisches Publizieren in der Praxis. Lineare Leseflüsse aufbrechen, Forschungsdaten integrieren, Persistenz bewahren“ in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 67, Nr. 3–4: 155–61, DOI: 10.3196/1864295020673432.
Neumann, Katrin / Seltmann, Melanie / Steyer, Timo / Scholger, Walter (2019): “Barcamp: Digitales Publizieren zwischen Experiment und Etablierung“ DOI: 10.5281/ZENODO.2551472.
Stäcker, Thomas (2016): “Neue Entwicklungen im wissenschaftlichen Publikationswesen : oder warum brauchen geisteswissenschaftliche Bibliotheken Open Access“ in: Richts, Kristina / Peter Stadler (eds.): „Ei, dem alten Herrn zoll’ ich Achtung gern’“: Festschrift für Joachim Veit zum 60. Geburtstag. München: Allitera Verlag 703–721.
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