Eine Archäologie politischer Begrifflichkeiten: Die Website „Corpus of Russian Translations“
von Mirjam Bremer
Woher stammt das politische Vokabular, das bis heute in der russischen Sprache zu finden ist? Um diese Frage drehte sich der erste Halt der virtuellen Reise durch die Digital Humanities in der Max Weber Stiftung am Deutschen Historischen Institut in Moskau. Vladislav Rjéoutski stellte die Datenbank und Website „Corpus of Russian Translations“ (Корпус русских переводов) vor. Das seit 2016 laufende Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, zur Erforschung der Geschichte politischer Begriffe und damit einer Archäologie politischer Konzepte im Russland des 18. Jahrhundert beizutragen, einer Zeit, zu der es im Russischen Reich noch kein ausgeprägtes politisches Vokabular gab. Durch die zunehmende Übersetzung von politischen Texten aus französischer, deutscher oder lateinischer Sprache ins Russische änderte sich dies: Die Übersetzungen bzw. die Übersetzer brachten neue Begriffe und damit auch politische Ideen nach Russland und veränderten die Gesellschaft nachhaltig. Die Datenbank bildet diesen Wandel ab, indem sie politische Texte sammelt, die im 18. Jahrhundert ins Russische übersetzt und veröffentlicht wurden. Mithilfe der Suchfunktion können Original und Übersetzung in Auszügen gegenübergestellt werden, so dass für die Lesenden nachvollziehbar wird, wie die politischen Konzepte in die russische Sprache übertragen wurden. Die umfassende Datenbank von Übersetzungen aus dem 18. Jahrhundert bildet die Grundlage des Projekts. Weiterhin veranschaulicht die Website mithilfe eines Glossars, auf welche Weise politische Schlüsselbegriffe übersetzt wurden. Welche russischen Entsprechungen fand man zum Beispiel für das deutsche Wort Macht, das französische société oder das englische sovereign? Mit der Auswahl eines Begriffes bekommt man alle Textauszüge aufgelistet, in denen ebendieser Begriff vorkommt. Die Auszüge werden chronologisch geordnet und geben einen Einblick, wie die Übersetzer Begriffe auf unterschiedliche Weise ins Russische übertrugen und wie sich die Wortwahl im Verlauf der Zeit änderte. Die Website zeigt außerdem Graphen und Statistiken, welche die Geschichte der Übersetzung und Veröffentlichung von Werken in Russland im 18. Jahrhundert greifbar machen. Aus welchen Sprachen wurden die meisten Werke ins Russische übersetzt? Oder warum stieg zum Beispiel ab den 1780er Jahren die Zahl der veröffentlichten Übersetzungen stark an? Auch bei der Erforschung solcher Aspekte kann das Projekt helfen.
In der anschließenden Diskussion ging es um die möglichen Nutzungsweisen der Website. Auch wenn die Datenbank noch im Aufbau ist, werden laufend neue Übersetzungen und Textauszüge eingefügt. Sie besitzt damit großes Potenzial, die Geschichte einzelner Begriffe oder politischer Konzepte und ihren Weg nach Russland nachzuvollziehen. Außerdem kann sie in den größeren Kontext der europäischen Wissensgeschichte und Wissenstransfers eingebettet werden. Nicht nur deshalb stellt „Corpus of Russian Translations“ ein gutes Beispiel für die gewinnbringenden Möglichkeiten der Digital Humanities dar und wird eine Reihe von (internationalen) Forschungsvorhaben bereichern.
Besuchen Sie gerne die Website unter folgendem Link: www.krp.dhi-moskau.org (oder schauen Sie sich den Veranstaltungsmitschnitt noch einmal hier an: https://www.youtube.com/watch?v=hJpcV-_ctS0)
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