Workshopbericht „Reisewege in Raum und Zeit”, Köln, 27.02.2018
Am 27.02.2018 fand der DARIAH-DE-Expertenworkshop „Reisewege in Raum und Zeit” im Rahmen der DHd-Jahrestagung in Köln statt. Der Workshop war dem Thema Reisewege historischer Akteure gewidmet und wurde gemeinsam vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (Anna Aschauer, Marco Büchler) und dem Lehrstuhl für Medieninformatik der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (Tobias Gradl, Andreas Henrich) organisiert.
Die Organisatoren des Workshops gingen von der Prämisse aus, dass Reisewege gut und genau zu kennen von großer Bedeutung für die Geschichtsforschung sei. Damit können persönliche Kontakte der Akteure reflektiert werden, sowie Verbreitungswege der Güter und Ideen nachvollzogen werden. Weiterhin zeigen Reisewege auf, über welches Ortswissen eine bestimmte Person verfügt hat.
Durch den Einsatz digitaler Werkzeuge ist es möglich, die Eigenschaften, die eine Gruppe auszeichnen, zusammenzufassen. Diese Aggregation zu Gruppenprofilen ermöglicht historisch Arbeitenden, ihre Hypothesen zu bilden oder zu stärken. Es würde beispielsweise ermöglichen, etablierte Thesen in der klassischen Geschichtswissenschaft bezüglich der Korrelation zwischen Konfessionalität bzw. Beruf und Mobilität auch mit Hilfe quanititativer Verfahren zu prüfen.
Der Gegenstand des Workshops war die geographische Darstellung von Reisewegen sowie deren technischen Anforderungen und wissenschaftlichen Implikationen für die Digital Humanities. Das Ziel des Workshops bestand neben der Präsentation des aktuellen Entwicklungsstandes insbesondere im Sammeln von Rückmeldungen und Anforderungen für die weitere Konzeptualisierung und Entwicklung des Werkzeugs.
Eine grundlegende Hypothese ist, dass ein Mehrwert durch die automatisierte Erstellung biographischer Profile entsteht. Die Gruppenprofile können anhand der von FachwissenschaftlerInnen erstellten Wortfelder aggregiert werden. So können Aggregationskriterien wie beispielsweise Berufsfelder oder Konfessions-/Religionsgruppen beschrieben werden.
Nach den einführenden Worten von Marco Büchler stellte Tobias Gradl das erste Impulsreferat „Analyse und Kombination forschungsspezifischer Methoden auf dem infrastrukturellen Fundament von DARIAH-DE“ vor. In dem Vortrag wurde die Funktionsweise der DARIAH-DE Datenföderationsarchitektur (DFA) in Bezug auf Integration der Webservices und Daten im Kontext des DARIAH-DE-Werkzeugs CosmoTool erläutert.
Im ersten Teil des Vortrags skizzierte der Redner, wie die Webservices „Chronontology“ und „Gazetteer“ des Deutschen Archäologischen Instituts mit der DFA verbunden werden, um Zeitbegriffe mit Datierungen und Ortsnamen sowie Koordinaten zu verbinden. Der zweite Teil war der Integration und der sprachlichen Analyse der Wikipedia-Daten durch DARIAH-DE’s Werkzeug CosmoTool gewidmet. Das dritte Beispiel beschäftigte sich mit der Integration des kleinen Datenbestandes aus Controversia et Confessio (Projekt der digitalen Akademie (AdW – Mainz) und IEG, das Biographien der Theologen des 16. Jahrhunderts beinhaltet). In der darauffolgenden Hands-on Session wurde veranschaulicht, wie benannte Methoden im CosmoTool realisiert werden und welche Entwicklungsmöglichkeiten in Bezug auf geisteswissenschaftliche Fragestellungen noch möglich wären.
Ferner stellte Anna Aschauer die Reise und Reisewege in der Frühen Neuzeit vor. Die Referentin überblickte mit ihrem Impulsvortrag die Möglichkeiten eines Reisenden in der Vormoderne, eine Reise zu planen und durchzuführen. Erläutert wurde, welche Rolle die Heeres-, Handels- und Wasserwege spielten, und wie die Dörfer und Städte miteinander verbunden waren. Ein besonderes Augenmerk lag auf Orientierungs- und Planungshilfen der frühneuzeitlichen Reisenden wie Routenbücher, Kreuzsteine, Kapellen, Zollhäuser oder (einheimische) Begleiter. Zum Schluss präsentierte die Rednerin einige deutschsprachige Reiseberichte nach und in Russland aus dem frühen 18. Jahrhundert, die Reiserouten und Reisealltag beschrieben.
Nach der Vorstellung der Diskussionsthemen folgten Diskussionen zu den Themen ethische Aspekte, Unvollständigkeit der Daten und Visualisierung/Routing mit dem Ziel, das weitere Entwicklungsvorhaben mit den Experten und Interessierten zu besprechen und Rückmeldungen zu erhalten.
Bei der Problematik der unvollständigen bzw. lückenhaften Daten für die Modellierung der Reisewege (oder auch gesamter Biographien), wurden mehrere Teilaspekte und Lösungen besprochen. Zum einen kam die Frage auf, wie eine Lücke in der Informationserfassung identifiziert werden kann? Hilfreich wäre, eine „Daten-Legende“ anzulegen, die beleuchtet wie, wann und von wem die Daten aufgenommen wurden. Eine andere Lösung wäre, die Unsicherheiten der erfassten Daten zu annotieren. Darüber hinaus ist es auch sinnvoll, am Anfang eines Projekts den Grad der Detailliertheit festzulegen, um die Daten im nötigen Umfang und mit nötigen Metadaten zu erfassen. Bei der breiteren Datengrundlage könnte Unvollständigkeit durch Übereinanderlegen der unterschiedlichen Daten gelöst werden.
Bei der Besprechung der Visualisierungsproblematik, die darin besteht, dass bei der Visualisierung der Verbindung auf einer Karte ein nicht für die Vormoderne realistischer Weg anzeigt wird (zum Beispiel als eine „Fluglinie“). Welche Heuristiken wären denkbar, um diese Lücke der fehlenden Reiseinformationen (Routing) zu überwinden?
Routing auf Basis geographischer Marker wie Anstiege und Brücken oder auf Basis der Reisebeschreibungen in Biographien wären denkbar. Außerdem wurde darüber diskutiert, welche Gruppenmerkmale (erschlossen aus den Biographien einer Gruppe) Aufschlüsse darüber geben können, wie eine Reise verlaufen sei. Die folgenden Merkmale wären möglich:
- konfessionelle Zugehörigkeit
- Reiseanlässe
- Stand (adelig/nicht adelig)
Eine mögliche Lösung wäre eine Datenbank für historische Reisewege, die Informationen aus verschiedenen Quellen integriert: aus Kartenmaterial, Biographien, GIS.
Eine Realisierung gruppenspezifischer Reisewege würde ermöglichen, die Gewichtung/Wichtigkeit bestimmter Orte messen zu können (z. B. wenn viele aus einer Gruppe den bestimmten Ort besucht haben).
Im letzten Diskussionsteil zum Thema „ethischen Aspekte” erläuterte Marco Büchler die Problematiken, die sich aus dem Umgang mit Biographien ergeben. Wo lässt sich die Grenze zwischen historisch motivierter Forschung und Profilbildung ziehen? Wie schützt man Persönlichkeitsrechte der Familienangehörigen, wenn die Biographie der Verstorbenen mit digitalen Methoden erforscht wird? Aus der Diskussion während und nach dem Workshop kam es zu unterschiedlichen Vorschlägen. Möglich wäre, dass wissenschaftliche Institutionen digitale Biographien verstorbener Personen erstellen und damit den kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Informationen zeigen.
Der Workshop „Reisewege in Raum und Zeit” konnte mit seinem Schwerpunkt auf Diskussion und Austausch mit Interessenten und Experten aus digitalen und klassischen Geisteswissenschaften eine Reihe von wichtigen Problematiken rund um die Themen Reisen und Biographie ansprechen. Die Ausgangshypothese wurde bestätigt, dass ein Mehrwert durch die automatisierte Erstellung und Auswertung biographischer Profile entsteht. Da, zu einem, erlaubt die automatisierte Erstellung der Profile mehrere Datenquellen zu nutzen und damit fehlende Informationen zu füllen. Andererseits, würde es erlauben gruppenspezifische Reisewege und meist besuchte Orte für gegebene Gruppen zu erkennen.
Arno Bosse
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