Vorstellung der PreisträgerInnen des DARIAH DH-Award 2017: Armin Häberle
Der DARIAH-DE DH-Award 2017 fördert NachwuchswissenschaftlerInnen, die in ihren Forschungsvorhaben innovative digitale Ansätze und Methoden einsetzen und so einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Digital Humanities leisten. Im DHd-Blog stellen wir PreisträgerInnen und Projekte in den nächsten Wochen vor.
Armin Häberle studierte Malerei und Grafik an der Kunstakademie Karlsruhe und der Universität Lissabon. Er war Meisterschüler von Horst Antes und in Berlin selbständig. Er erhielt das Graduiertenstipendium Baden-Württembergs und den Friedrichshafener Kunstförderpreis. Das Studium der Kunstgeschichte an Freien Universität Berlin hat er mit einer Masterarbeit zu Poussin mit Auszeichnung abgeschlossen. Derzeit ist er Doktorand an der Bibliotheca Hertziana.
Welche Ergebnisse erwarten Sie und für welche Forschungsthemen sind diese anschlussfähig?
Hauptziel ist die Entwicklung eines oder mehrerer Bildgebungsverfahren, mit denen die materielle Stratifikation einer künstlerischen Handzeichnung, die, nicht immer, aber häufig der chronologischen Werkgenese entspricht, in separierten Einzelbildern dargestellt werden kann. Da sich diese Schichten gemeinhin überlagern, wird durch eine Bildgebung die empirische Untersuchung der Werkgenese und des kreativen Prozesses für die Kunsthistorik überhaupt erst möglich. Bislang gelingt dies nur eingeschränkt, meist mittels Infrarot-Reflektographien. Die verbliebenen diagnostischen Lücken möchten wir schließen. Für die Substrat-Kombination Rötel-Tinte/Tusche ist uns dies gelungen.
Das Verfahren nutzt die spezifischen Wellenlängensignaturen der Zeichenmaterialien und filtert diese über eine Kaskade von Musterkennungsverfahren. Das Verfahren bietet die Chance, verschiedene Fragestellungen in einer Serie von Aufnahmen abzuarbeiten, und Objekte zu untersuchen, die sich in kleinen Sammlungen ohne Anbindung an wissenschaftliche Labore befinden. Dies könnte die bisherige Forschung, in der technische Untersuchungen fast ausschließlich an „Meisterzeichnungen“ vorgenommen werden, verbreitern und demokratisieren.
Ein zweites Ziel ist die Rekonstruktion ausradierter oder beschädigter Partien. Für die Frühe Neuzeit wurden Phänomene des Ausradierens in Zeichnungen als künstlerischem Verfahren noch nie thematisiert. Dies schließt sehr eng an die sogenannte Palimpsest-Forschung an, wo in den vergangenen fünfzehn Jahren große Fortschritte erzielt wurden (z.B. beim „Archimedes-Palimpsest“). Letztlich blieben diese Forschungen aber auf Schriftstücke konzentriert. Wir arbeiten an einer Nutzbarmachung für das Feld der Bildkünste.
Grundsätzlich sind die zur Bildauswertung entwickelten Algorithmen nicht auf historische Anwendungen beschränkt. Automatisierte Mustererkennungen sind äußerst universell. Die zu entwickelnden Rechenoperationen könnten folglich auch einen Beitrag zu gänzlich anderen Anwendungen, z.B. in der medizinischen Diagnostik oder der Grundlagenforschung der Informatik und Historik leisten.
Mit welchen Materialien und Daten arbeiten Sie?
Ziel der Bildgebung ist die Untersuchung von musealisierten Kunstwerken auf Papier, Pergament und Holz. Da diese von hohem historischen wie monetärem Wert sind, und das gealterte Material besonders strahlungssensibel und fragil ist, erproben wir unsere Aufnahmetechniken bisher ausschließlich anhand von Imitationen. Die einzelnen Produktionsstufen dieser Dummies werden Schritt für Schritt dokumentiert. Diese Datensätze dienen als Prüfinstrument für die Akkuratesse der hyperspektralen Bildauswertung. In dem wechselseitigen Abgleich von RGB-Bildern der Produktionsschritte und den hyperspektralen Bildauswertungen können die Verfahren bewertet und verfeinert werden. Dieser Workflow findet für alle Substratkombinationen Anwendung, wobei wir uns auf jene konzentrieren, die bisher keiner Diagnostik zugänglich, oder besonders schwierig nachzuweisen sind (z.B. Graphit). Gleichzeitig erarbeiten wir Strategien zur Reduktion der Strahlenbelastung. In der folgenden Phase soll das ausentwickelte Verfahren schließlich an musealen Objekten geprüft werden.
Gibt es Methoden, Theorien und Tools, welche für diese Aufgabe besonders interessant sind?
Das Verfahren dient vorrangig der historischen Zeichnungs- und Manuskriptforschung. In diesem Bereich spielen kennerschaftliche Urteile – gerade aufgrund der meist ausgesprochen schlechten Dokumentenlage – bis heute eine außergewöhnliche Rolle. Erst in jüngster Zeit gab es stärkere Bemühungen, den methodischen Zugang zu überdenken und nach valideren Kriterien bei der Urteilsfindung zu suchen (z.B: durch Burmester/Renger oder Pagliano). Nachdem technische Untersuchungen lange Zeit in den Aufgabenbereich von Restauratoren ausgelagert wurden, gewinnen diese erst jüngst für Kunsthistoriker selbst wieder an Bedeutung. Dies liegt unter anderem daran, dass sich die Fragestellungen von Restauratoren und Kunsthistorikern an das Objekt und seinen Kontext regelmäßig unterscheiden. Auch die Analyse von Werkprozessen würde ich hier mitzurechnen. Insofern sehe ich die Suche nach neuen technischen Untersuchungen auch als Teil einer Suche nach einer methodischen Erneuerung des Faches. Die Methode eignet sich auch zur Untersuchung von Archivalien und Schriftstücken, modifiziert auch für Druckgraphiken. Daneben kann sie ein Werkzeug zur Echtheitsprüfung sein. Grundsätzlich ließe sich daraus auch ein Prüfinstrument für andere Dokumente, z.B. Ausweise, Geldscheine usf. entwickeln.
Wie haben Sie begonnen, sich mit digitalen Geisteswissenschaften zu beschäftigen?
Dieses Projekt erwuchs aus der Lektüre eines kurzen medizinischen Artikels zum „richtigen Zeitpunkt“. Im Rahmen meiner Forschung an Handzeichnungen war ich mit dem Problem konfrontiert, Arbeitsprozesse in materiell und technisch äußerst komplex erarbeiteten Entwurfszeichnungen für vielfigurige und großformatige Schlachtendarstellungen zu identifizieren. In ihrer materiellen Überlagerung präsentierten sich diese jedoch als visuelles Chaos, das sich einer geisteswissenschaftlichen Analyse durch das technisch nicht-assistierte Auge verschloss. In dem Aufsatz wurde von einer hyperspektral-analytischen Anwendung berichtet, mit der es niedergelassenen Hautärzten möglich werden sollte, durch Aufnahmen von Hautarealen mit einer Kamera und entsprechender Mustererkennungssoftware, Hautkrebs im Frühstadium zu identifizieren. Grundlage der Technik war die Erkenntnis, dass sich Krebszellen hinsichtlich ihrer Farbe von gesunden Zellen spezifisch unterscheiden.
Während der Lektüre hatte ich sofort den Gedanken, dass mein Problem – die Extraktion bestimmter Farbsignaturen vor einem überwiegend homogenen Bildgrund – mit demselben Verfahren zu lösen sein könnte, vorausgesetzt das Ergebnis ließe sich als Bildgebung darstellen. Ich habe den damaligen Projektleiter Christian Riess in Erlangen angerufen und wir konnten schnell zu einer ersten Zusammenarbeit finden, die bis heute intensiviert wurde, und die durch das Hinzustoßen von Amir Abbas Davari nun die ersten Früchte trägt.
Welche Angebote der digitalen Geisteswissenschaften fänden Sie für Ihre Forschungsprojekte in Zukunft besonders hilfreich?
Transdisziplinäre Kooperationen tragen in meinen Augen dann rasche Früchte, wenn es allen beteiligten Disziplinen gelingt, für ihr jeweiliges Arbeitsfeld im konkreten Fall eigenständige, relevante Forschungsfragen zu formulieren. Die Suche nach einer blanden technischen Anwendung für ein Problem eines Kunsthistorikers ist für einen Informatiker so wenig herausfordernd, wie die Bitte an einen Klempner, einen Wasserhahn zu montieren. In dem Moment, in dem es aber darum geht ein grundlegendes Problem im eigenen Fachbereich zu lösen – im besagten Beispiel, die Erfindung eines neuen Ventilmechanismus zur Kontrolle eines Flüssigkeitsstroms – sprich um eine Forschungsleistung, kommen Innovationen in aller Regel mit Siebenmeilenstiefeln voran.
Für die Kunstgeschichtsschreibung im Besonderen würde ich mir wünschen, dass sich die Kunsthistoriker wieder stärker selbst mit der für die Lösung ihrer eigenen Forschungsfragen notwendigen oder eben noch zu erfindenden, objektorientierten Techniken auseinandersetzen. In den letzten Jahrzehnten wurde diese Aufgabe fast vollständig an andere Disziplinen abgegeben, die in aller Regel auch näher am (materiellen) Objekt operieren. Es ist aber ein Trugschluss, zu glauben, dass die Fragestellungen, die diese an das Werk richten, mit denen der Historiker identisch seien. Sie unterscheiden sich regelmäßig deutlich. Diese Verlagerung hat zu einer einseitigen Verschiebung von Expertise und Urteilsfähigkeit der technischen Untersuchungen geführt, die auch im interdisziplinären Diskurs nicht einfach zu überbrücken ist, und andererseits zu einer Wendung der Kunsthistorik zur „reinen Geisteswissenschaft“. Gepaart ist dies mit einer Wiederbelebung der klassischen Kennerschaft, während gleichzeitig Forschungsfragen, für die Restauratoren oder andere Disziplinen kein probates Untersuchungsinstrument bereitstellen, häufig unbearbeitet blieben. Das eigene Nachdenken über die noch zu erarbeitenden Problemlösungen und das gezielte Suchen nach wissenschaftlichen Partnern, für das Disziplinen wie die Archäologie oder die verwandte Bauforschung Vorbild sein könnten, könnte nach meiner Auffassung dazu beitragen, dass die Kunstgeschichte neben der überaus fruchtbaren Bereitstellung und Verarbeitung von Materialien in Datenbanken und den damit verbundenen Chancen hinaus, zu einer ganzen Reihe von weiteren Innovationen beiträgt, die das Fach wissenschaftlich weiter fundieren und voranbringen.
Weitere Informationen
Armin Häberle (Homepage | Bibliotheca Hertziana)
Dr. Christian Riess (Institut für Informatik, FAU Erlangen-Nürnberg)
Amir Abbas Davari (Institut für Informatik, FAU Erlangen-Nürnberg)
DARIAH-DE unterstützt mit digitalen Ressourcen und Methoden arbeitende Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen in Forschung und Lehre. Dafür baut das Projekt eine digitale Forschungsinfrastruktur für Werkzeuge und Forschungsdaten auf und entwickelt Materialien für Lehre und Weiterbildung im Bereich der Digital Humanities (DH). DARIAH-DE ist der deutsche Beitrag von DARIAH-EU und arbeitet in diesem Kontext mit einer Vielzahl von europäischen Partnern und Projektverbündeten zusammen.
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