Maschinen und Manuskripte: Themenraum zur Digitalen Kodikologie im Virtuellen Museum Digital Humanities – Hannah Busch im Interview
2015 war im Bischöflichen Priesterseminar in Trier die Ausstellung Maschinen und Manuskripte –
Digitale Erschließung der Handschriften von St. Matthias zu sehen, die aus dem Kooperationsprojekt eCodicology hervorgegangen war. Diese Ausstellung kann mittlerweile dauerhaft und kostenlos im Internet besucht werden. Das Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften/Trier Center for Digital Humanites (TCDH) hat dafür einen Raum in seinem Virtuellen Museum Digital Humanities eingerichtet.
Die Stadt Trier ist reich an alten, kostbaren Büchern und damit ein idealer Ort um
Handschriftenforschung zu betreiben. Das liegt zum einen daran, dass hier im Mittelalter wichtige Auftraggeber lebten – Erzbischof Egbert etwa ließ im 10. Jahrhundert im Kloster Reichenau den weltberühmten Codex Egberti schaffen, der heute in der Schatzkammer der Trierer Stadtbibliothek
bewundert werden kann. Zum andern wurden hier Kodizes gesammelt und hergestellt. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die Benediktinerabtei St. Matthias. Ihre Bibliothek spiegelte im Mittelalter die Bedeutung des Klosters als ein Zentrum und Impulsgeber für die Kultur des mitteleuropäischen
Raumes wider.
In den vergangenen Jahren beschäftigten sich zwei Projekte unter Beteiligung des Kompetenzzentrums mit dieser Abteibibliothek. Im von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft geförderten Vorhaben
Virtuelles Skriptorium St. Matthias rekonstruierte das TCDH zusammen mit der TU Darmstadt, der Trierer Stadtbibliothek und dem Bischöflichen Priesterseminar in Trier ihren mittelalterlichen Bestand, der heute auf über 25 Standorte weltweit verteilt ist. Die gescannten Werke sind in einer frei zugänglichen Onlinebibliothek wieder zusammengeführt und somit in Gänze verfügbar gemacht worden. Die digitalisierten Bücher
konnten dann für Forschungen im Rahmen von
eCodicology, einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projekt, weiterverwendet werden. Gemeinsam arbeiteten das Kompetenzzentrum, die TU Darmstadt und das
Karlsruher Institut für Technologie in diesem Vorhaben an Computerprogrammen, die selbstständig das Layout von Handschriften untersuchen können. Es wurden neue Algorithmen entwickelt und erprobt, die den gestalterischen Aufbau von Buchseiten automatisch erkennen und die Strukturelemente wie Blattgröße, Schriftraum, Illustrationen und Anmerkungen bestimmen.
Um auch die breite Öffentlichkeit für die Trierer Handschriftenforschung zu begeistern, wurde die Ausstellung Maschinen und Manuskripte organisiert, die eine Brücke zwischen mittelalterlichen
Büchern und moderner Wissenschaft schlagen sollte. Entlang der Geschichte der Mattheiser Bibliothek und ihrer Bestände wurden die Besucher zu verschiedenen Stationen geführt. Konzipiert wurde sie von den eCodicology-Mitarbeiterinnen Sabine Philippi und Hannah Busch, die auch für diesen Beitrag Rede und Antwort stand.
„Als wir die Ausstellung konzipierten, konnten wir nicht davon ausgehen, dass das Publikum viel über Handschriften weiß, aber vielen Menschen in der Region ist bewusst, dass es einige Schätze der
mittelalterlichen Buchkunst hier in Trier gibt“, erzählt Hannah Busch.
Das Publikum wurde zunächst mit der Anfertigung mittelalterlicher Bücher vertraut gemacht.
„Wir haben ganz vorne angefangen und erklärt, was Kodizes sind, wo und wie sie entstanden,
was darin geschrieben wurde und wer sie benutzt hat. Wir hatten auch eine Vitrine mit
Verarbeitungsmaterialien und stellten z. B. eine aufgespannte Tierhaut aus,
um zu zeigen, wie man Pergament herstellte“, so Busch.
Neben der Vorstellung der Buchkunde als wissenschaftliche Disziplin wurde den Besuchern das
Forschungsfeld der Digitalen Kodikologie anhand der Fragegestellungen und Ergebnisse des
eCodicology-Projekts Stück für Stück nähergebracht.
„Uns ging es bei eCodicology darum, die formalen Strukturen des Layouts mittelalterlicher
Handschriften zu untersuchen und so gab es natürlich auch eine Vitrine, die sich der Buchgestaltung widmete. Wir wollten zeigen, dass Kodizes ein durchdachtes Layout haben und dass es diesbezüglich einige Dinge gibt, die man analysieren kann“, erklärt Busch. „Anhand der Exponate machten wir
deutlich, dass die Position des Schriftspiegels, die Aufteilung in Spalten, die Bildelemente wie Bordüren,
Illustrationen und die Darstellung der z. T. reich verzierten Schmuckbuchstaben (Initialen) normiert
waren und bestimmten Regeln unterlagen. Selbst Kommentare, die am Rand oder zwischen den Zeilen stehen und manchmal mehr Raum einnehmen als der eigentliche Text sind eindeutig geplant gewesen und waren zentraler Bestandteil des Buchaufbaus.“
Ausgehend von dieser historischen Perspektive spannte die Ausstellung dann den Bogen zur modernen kodikologischen Forschung, die immer stärker auf digitale Verfahren setzt und damit die klassischen Methoden der Handschriftenkunde ergänzt. Durch die Digitalisierungsmaßnahmen im Projekt Virtuelles Skriptorium St. Matthias kann man elektronisch auf sehr viele Bücher zugreifen. Daraus ergibt sich ein größerer Vergleichswert, mit dem Kodikologen digital experimentieren können.
„Durch die Analyse von Layout-Eigenschaften kann man u. a. Aussagen über den Herkunftsort,
die Entstehungszeit und die Textart der Bücher treffen. Doch die manuelle Vermessung der Text- und Bildfelder oder das Zählen der Zeilen usw. auf jeder einzelnen Seite von hunderten von Büchern nimmt immens viel Zeit in Anspruch. Mit einer entsprechenden Software geht das natürlich viel schneller“.
Zwei Exponate illustrierten exemplarisch die Möglichkeiten, welche die quantitative Untersuchungsmethoden eröffnen. Eine Bildmontage der sogenannten
Trierer Apokalypse lässt auf einen Blick das Text-Bild-Schema im Buch erkennen. Unmittelbar sichtbar
werden so aber auch die Stellen, an denen das System durchbrochen wurde. Eine andere Montage bestehend aus ca. 6000 Seiten verschiedener Werke zeigte die Vielfalt des Seitenlayouts und deren Einheit innerhalb einzelner Texteinheiten. Die Ausstellung stellte also auf der einen Seite Handbuchwissen vor, auf der
anderen Seite warf sie einen Blick auf aktuelle Forschungen. Sie war somit nicht nur für die breite
Öffentlichkeit, sondern auch für angehende
Kodikologen und Studierende anderer historischer
Fächer sowie der Digital Humanities interessant. Deshalb hat man sich dazu entschieden, Texte und Bilder der Präsentation im Rahmen einer digitalen Ausstellung wieder zu veröffentlichen.
„Die Ausstellung stieß auf viel positive Resonanz. Zudem merken wir durch unsere Angebote, etwa im Rahmen der Kinder-Uni oder beim City Campus – der langen Nacht der Wissenschaft in Trier, immer wieder, dass ein großes Interesse an alten Handschriften da ist, auch wenn der wissenschaftliche
Zugang natürlich fehlt.Auch Studierende der Digital Humanities verfügen nicht zwangsläufig über
kodikologisches Basiswissen, da sie aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen kommen.
Im neuen Themenraum „Maschinen und Manuskripte“ im Virtuellen Museum wird daher
allgemeinverständlich vermittelt, was Handschriftenkunde ist, was mittelalterliche Bücher sind
und was Computer mit ihnen machen können.“
Das Virtuelle Museum für die Digitalen Geisteswissenschaften wurde 2015 vom Kompetenzzentrum initiiert und dient als Informations- und Lehrplattform. Es gibt Einblicke in die Arbeit des TCDH und vermittelt DH-Wissen an Studienanfänger, -bewerber und andere Interessierte. Wie in einem
physisch zugänglichen Museum besteht auch das Internet-Museum aus verschiedenen
themenorientierten Räumen, die in einzelne Stationen unterteilt sind.
„Im neuen Bereich „Maschinen und Manuskripte“ wird man von der Basisinformation langsam zu den Digital Humanities und zur Digitalen Kodikologie geführt. Wir haben bei der Konzeption des Themenraums darauf Wert gelegt, dass die Stationen als Sinneinheiten in sich geschlossen sind. Durch den hierarchischen Aufbau kann man sich strikt von Station zu Station durcharbeiten. Oder aber die
Besucher haben die Möglichkeit, Abschnitte zu überspringen. Wer schon weiß, wie ein Buch im
Mittelalter hergestellt wurde, der klickt einfach zur nächsten Station“, so Hannah Busch.
Die digitale Ausstellung soll als Einführung dienen. Wer sich beispielsweise im Geschichtsstudium erstmalig mit Handschriften beschäftigt, kann sich hier einen Überblick verschaffen. Gleiches gilt für Kunsthistoriker, Philologen, Literaturwissenschaftler und andere, die sich mit Bild-Text-Phänomenen wissenschaftlich auseinandersetzen wollen.
Bei der Einrichtung haben mehrere Studierende als wissenschaftliche Hilfskräfte des TCDH mitgewirkt. Sie profitierten von einem doppelten Lerneffekt, da sie mehr über Kodikologie erfuhren und gleichzeitig praktisch auf dem Gebiet der Digital Humanities arbeiten konnten.
„Die Website ist dynamisch und es können jederzeit neue Themenräume angebaut werden. So soll auch gewährleistet werden, dass die Inhalte auf dem neusten Stand der Forschung sind.
Studierende können auch passende Seminararbeiten dort veröffentlichen und damit einen
wissenschaftlichen Beitrag leisten“, so Busch abschließend.
Wer mehr über Kodikologie erfahren und sein Wissen im Quiz testen möchte, gelangt hier zum neuen Themenraum Maschinen und Manuskripte im Virtuellen Museum Digital Humanities.
Autorin: Rebecca Mellone studierte Kunstgeschichte, Mittlere und Neuere Geschichte, Vor- und Frühgeschichte sowie Volkskunde in Bonn und Mainz. Seit 2016 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Trier Center for Digital Humanities.
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