Vorstellung der PreisträgerInnen des DARIAH DH-Award 2017: Tim Schütz
Der DARIAH-DE DH-Award 2017 fördert NachwuchswissenschaftlerInnen, die in ihren Forschungsvorhaben innovative digitale Ansätze und Methoden einsetzen und so einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Digital Humanities leisten. Im DHd-Blog stellen wir PreisträgerInnen und Projekte in den nächsten Wochen vor.
Tim Schütz studierte Kommunikations-, Medien- und Kulturwissenschaften in Bremen und Istanbul. Seit seinem Bachelor-Abschluss arbeitet er als Junior Consultant im Institut für Informationsmanagement GmbH an der Universität Bremen. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten liegen in der Verbindungen zwischen digitaler Kultur und der interdisziplinären Wissenschafts- und Technikforschung (STS), mit besonderem Interesse an alternativen Medieninfrastrukturen, kritischer Migrationsforschung sowie Technologienutzung im hohen Alter.
Welche Ergebnisse erwarten Sie und für welche Forschungsthemen sind diese anschlussfähig?
Zu Beginn meiner Forschung waren Diskurse um Smartphones als unangemessenes Luxusgut für Geflüchtete aber auch eine Faszination für die digitalen Tools als „Instrumente der Flucht“ sehr präsent. Die Vereinten Nationen und das Bundesverfassungsgericht hingegen verstehen den Zugang zum Internet als menschliches Grundrecht auf Information. Schon meine ersten Kontakte mit NGOs und Geflüchteten zu Beginn der Forschung zeigten aber, dass bereitgestellte Internet-Zugänge in kürzlich eröffneten Unterkünften für Geflüchtete – besonders in improvisierten Gebäuden und Zelten – keine Selbstverständlichkeit sind. Beiträge aus der kritischen Migrationsforschung machten dennoch deutlich, dass TransitmigrantInnen auf unterschiedliche Arten ins Internet kommen und für den Erhalt von „mobile commons“ kämpfen (Trimikliniotis et al 2015). Damit verlagert sich die Frage vielmehr zu den Bedingungen, Kosten und spezifischen soziotechnischen Konfigurationen, die beispielsweise ein Skypegespräch oder die Nutzung von stationären Rechnern in Unterkünften erlauben.
Davon ausgehend entschied ich mich, meinen Fokus speziell auf das Management von Geflüchteten zu legen und anhand einer Feldforschung in Bremen näher zu beleuchten. Während die viele Studien vor allem auf die Mediennutzung abhoben, folgte ich einer Bewegung des „studying up“ und konzentrierte mich auf jene Akteure, die ich als Hauptverantwortliche für digitale Infrastruktur ausmachen konnte. Während meiner Zeit in Istanbul hatte ich mich zusätzlich mit der politischen Bedeutung von Hacker-Kollektiven beschäftigt und die zivilgesellschaftlich orientierten Projekte in einem Dokumentarfilm festgehalten. Nachdem ich in Deutschland die Arbeit der Freifunk-Initative kennenlernte, wurde damit rasch die Frage nach Alternativen zu einem immer kommerzialisierterem Internet ein wichtiger Teil meiner Fragestellung.
Als ausgebildeter Kommunikations- und Medienwissenschaftler ging es mir zuletzt darum, das Wissen aus kritischer Migrations- und Humanitarismusforschung mit Fragen über Infrastrukturen aus der interdisziplinären Wissenschafts- und Technikforschung (STS) in Resonanz zu bringen. Dazu war es mir als engagierter Forscher ein Anliegen, die von mir beobachtete soziotechnische Vernachlässigung von Geflüchteten zur Sprache zu bringen, wie sie erst von wenigen AkademikerInnen in diesem Feld thematisiert wurde (Farías 2016).
Mit welchen Materialien und Daten arbeiten Sie?
In meiner Forschung habe ich vor allem mit qualitativen Daten gearbeitet, die ich gemeinsam mit TeilnehmerInnen bei Treffen der Freifunk-Initiative, Besuchen in Unterkünften sowie Gesprächen mit SozialarbeiterInnen oder QuartiersmanagerInnen generiert habe. Meiner Forschungsfrage folgend ging es darum, den Prozess hinter der Installation von freien WLAN-Zugänge zu rekonstruieren und zu analysieren. Neben der Reichhaltigkeit von einzelnen Entstehungsgeschichten habe ich aber auch informelle Gespräche mit Geflüchteten geführt, die soziotechnischen Kontroversen auf der Freifunk Bremen-Mailingliste verfolgt und bei der großen europäischen Hackerkonferenz Chaos Communication Congress in Hamburg den Austausch mit anderen AkademikerInnen und AktivistInnen gesucht.
Gibt es Methoden, Theorien und Tools, welche für diese Aufgabe besonders interessant sind?
Als theoretische Zugänge waren für mich die Arbeiten zu Infrastrukturen in der Anthropologie wie auch STS sehr relevant. Wichtig sind hier Forschungen von Susan Star und Karen Ruhleder (1996), die einen ökologischen und relationalen Zugang zu Infrastrukturen stark gemacht haben. Der Berliner STS-Forscher Jörg Niewöhner (2014) zeigt darüber hinaus auf, dass Infrastrukturen nicht als fixe technische Entitäten, sondern als Prozesse der Infrastrukturierung gedacht werden sollten. Dies war hilfreich für mich, um die Liste von Akteuren, Gegenständen und Praktiken zu prüfen, die für die kontinuierliche Pflege und Instandhaltung von digitaler Infrastruktur notwendig sind. Wegweisend war darüber hinaus die Arbeit des Anthropologen Christopher Kelty, der über mehrere Jahre zu Free Software Bewegungen in verschiedenen Ländern ethnographisch geforscht hat. Neben methodischen Vorgehensweisen (zum Beispiel im Umgang mit IRC, Mailinglisten und den „usable pasts“, jenen Geschichten auf die sich Free Software AktivistInnen immer wieder beziehen), ist sein theoretisches Konzept von freier Software als „rekursiver Öffentlichkeit“ höchst inspirierend. Im Sinne der erwähnten Infrastrukturierung erscheint hier Free Software nicht mehr als reine Ideologie oder beste technische Lösung, sondern – wie auch Kultur selbst – als ein sich ständig wandelndes, experimentelles System, dass munter moralische und technischen Ordnungen miteinander verbindet (Kelty 2008). Analysen wie von Kubitschko (2015) zeigen zudem die spezielle Stellung von Hackerkollektiven wie dem Chaos Computer Club, die in Deutschland und Europa als zunehmend wichtigere Akteure in der Politisierung von technischen Kontroversen etabliert sind.
Für meine eigene Arbeit war es aber wichtig zu erkennen, dass sich die Freie-WLAN-Öffentlichkeit wie sie Freifunk hervorruft im Bezug zu Unterkünften von Geflüchteten in einem wesentlich fragileren Zustand befindet. Bisher stabilisierte Praktiken wie die der Versorgung oder der kollektiven Wissenserzeugung mussten stets neu verhandelt werden. Wiederkehrende Fragen aus meiner Feldforschung drehten sich dabei um die Verantwortung, die einzelne FreifunkerInnen für Unterkünfte tragen wollen und können. Relevante Beispiele sind etwa, ob AktivistInnen für ihren Einsatz entlohnt werden sollten oder ob eine Karte von noch nicht vernetzten Unterkünften auf der Freifunk-Seite ein unerwartetes Risiko für die BewohnerInnen darstellen kann. Den theoretischen Einsichten von Kelty folgend ist es aber gerade das unerwartete, agnostische Zusammenwirken von verschiedenen privaten/öffentlichen bzw. kommerziellen/selbstorganisierten AkteurInnen, die Hackerpolitik und daraus entstehende Öffentlichkeiten so spannend machen können.
Wie haben Sie begonnen, sich mit digitalen Geisteswissenschaften zu beschäftigen?
Mit den digitalen Geisteswissenschaften bin ich zunächst über das Feld der STS und speziell den großen kollaborativen Projekten wie An Inquiry Into Modes of Existence (AIME) von Bruno Latour oder auch den Asthma Files von Kim und Mike Fortun in Kontakt gekommen. Durch meine anhaltende Faszination für gemeinschaftliches Arbeiten über Blogs, Social Media-Gruppen und Foren habe ich immer auch über die Einrichtung einer eigenen Webseite nachgedacht. Allerdings habe ich für mich schnell entschieden, die Idee im Bezug auf ihren Arbeitsumfang eher für eine Master- oder Doktorarbeit als für eine kurze Bachelor-Arbeit angemessen ist.
Welche Angebote der digitalen Geisteswissenschaften fänden Sie für Ihre Forschungsprojekte in Zukunft besonders hilfreich?
Für zukünftige Forschungsprojekte in diesem Feld würde ich an bestehenden Freifunk-Praktiken ansetzen, zum Beispiel das Pflegen von gemeinsamen Wikis bei der Umsetzung von Installationen. Diese sind auch für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich, erreichen häufig aber eher UnterstützerInnen und AktivistInnen. Deshalb wäre es spannend, die ManagerInnen von Unterkünften wie auch Geflüchtete selbst mit in diese Diskussionen einzubeziehen. Dieser Punkt ist mir wichtig, da ich in meiner Forschung der auch von MigrantInnen formulierten Forderung „nichts über uns ohne uns“ nur bedingt nachgekommen. Zudem sehe ich hier die Möglichkeit, Freifunk-AktivistInnen aus der Verantwortlichkeit als alleinige VersorgerInnen herauszuholen. Im besten Fall kann so einer humanitären Logik entgegengewirkt werden, die in vermeintlichen „Krisen“ lediglich eine rasche Bereitstellung von Infrastruktur in den Vordergrund stellt. Stattdessen sollten, und das tut meine Forschung hoffentlich für einen kleinen fachkundigen Kreis, die politischen Implikationen sowie nicht-gewollten Effekte von digitaler Infrastruktur sichtbar gemacht und durch bereits bestehende Alternativen herausgefordert werden.
Weitere Informationen
www.freifunk-hilft.de
www.bremen.freifunk.net
www.timschuetz.eu
Literatur
Farías, I. (2016) STS and Human Drama. European Association for the Study of Science and Technology. https://easst.net/article/editorial-sts-and-human-drama
Kelty, C. M. (2008) Two Bits. The Cultural Significance of Free Software. Duke University Press.
Kubitschko, S. (2015) The Role of Hackers in Countering Surveillance and Promoting Democracy. Media and Communication 3.
Niewöhner, J. (2014) Perspektiven der Infrastrukturforschung: care-ful, relational, ko-laborativ. Schlüsselwerke der Science & Technology Studies (Eds. D. Lengersdorf, M. Wieser), Springer Fachmedien, Wiesbaden.
Trimikliniotis, P., Parsanoglou, D., & Tsianos V. (2015) Mobile Commons. Migrant Digitalities and the Right to the City. Palgrave.
Star, S. L. & Ruhleder, K. (1996). Steps toward an ecology of infrastructure: Design and access for large information spaces. Information Systems Research, 7(1), 111–134.
DARIAH-DE unterstützt mit digitalen Ressourcen und Methoden arbeitende Geistes- und KulturwissenschaftlerInnen in Forschung und Lehre. Dafür baut das Projekt eine digitale Forschungsinfrastruktur für Werkzeuge und Forschungsdaten auf und entwickelt Materialien für Lehre und Weiterbildung im Bereich der Digital Humanities (DH). DARIAH-DE ist der deutsche Beitrag von DARIAH-EU und arbeitet in diesem Kontext mit einer Vielzahl von europäischen Partnern und Projektverbündeten zusammen.
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