Nachhaltigkeit für digitale Editionen
Unter der Überschrift „Digitale Nachhaltigkeit“ firmierte die DHd-Konferenz 2017 vom 13. -17. Februar 2017 in Bern. Aber was bedeutet digitale Nachhaltigkeit speziell für digitale Editionen? Verschiedene Beiträge des umfangreichen Programms der DHd2017 beschäftigten sich mit der Frage, wie die langfristige Nutzung von Datenbeständen digitaler Editionen über die Laufzeit der jeweiligen Projekte hinaus sichergestellt werden könnte. Daran schloss sich die naheliegende Frage an, ob die Anlage, der Betrieb und die Unterhaltung einer digitalen Edition im Rahmen einer der bekannten virtuellen Forschungsplattformen (VFU) eine längerfristige Nachnutzbarkeit gewähren könne als die durch viele Editionsprojekte entwickelten, maßgeschneiderten Insellösungen.
Zentral für die Fragestellung war das Panel 6: Virtuelle Forschungsplattformen im Vergleich: MONK, Textgrid, Transcribo (FuD) und Transkribus, das sich zum Ziel gesetzt hatte, durch Kurzvorstellung der einzelnen im Titel genannten VFUs unter immer gleichen, vorgegebenen Gesichtspunkten Vergleichbarkeit unter den bestehenden Lösungen herzustellen. Dieser komprimierte Überblick über die unterschiedlichen zur Verfügung stehenden Dienste sollte der Zuhörerschaft im Vergleich ein Urteil über die Anwendungsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote von VFUs erlauben. Im Detail ging es um die Herstellung von Transkriptionen, Erfassung von Metadaten, Bild-Text-Verknüpfungen, Export- und Vernetzungsmöglichkeiten und Nachhaltigkeit der jeweiligen Plattform und die Langzeitverfügbarkeit der dort gespeicherten Daten. Die unterschiedlichen Konzepte und angebotenen Abläufe sowie die integrierten Hilfsmittel und das Leistungsspektrum der unterstützten Prozesse unterschieden sich je nach Profilierung der jeweiligen Plattformen. Ausgangspunkt für die Wahl der geeignetsten VFU für ein geplantes Editionsprojekt sei dementsprechend die Evaluation der Schlüsselfaktoren – einer Kombination von Ausgangsfragestellungen, Materialumfang und Zielvision des Editionsprojektes – führten die Vortragenden jeweils in Bezug auf die von ihnen vorgestellte VFU aus (für MONK Lambert Schomaker, Rijksuniversiteit Groningen, für Textgrid Mirjam Blümm, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, für Transcribo Thomas Burch, Universität Trier und für Transkribus Tobias Hodel, Staatsarchiv Zürich – Slides hier).
Bedenkenswert war in diesem Zusammenhang die von Jan-Christoph Meister (Universität Hamburg) aufgeworfene Frage, ob das Streben nach Nachhaltigkeit den Forscher nicht prinzipiell davon abhalte, Forschung zu betreiben und ob er nicht eigentlich nur noch mit der Verwaltung von Forschungsergebnissen befasst sei. Zumindest teilweise können VFUs dem Forscher diese Aufgaben abnehmen bzw. ihre Bewältigung erleichtern.
Dem Panel zu virtuellen Forschungsumgebungen stand eine Vortragssektion „Digitale Edition“ gegenüber, die an einzelnen Fallbeispielen Nachhaltigkeitslösungen verschiedener Projekte diskutierte. In die Sektion führten Peter Daengeli (Universität Köln) und Simon Zumsteg (Schweizerisches Literaturarchiv) mit einem sehr anregenden Vortrag zu Hermann Burgers Lokalbericht: Hybrid-Edition mit digitalem Schwerpunkt ein. Die mosaikartige Arbeitsweise Burgers war in diesem Projekt Ausgangspunkt für eine digitale Edition, die sich aus unterschiedlichen Teilen zusammensetzt: einem Dokumentenkorpus der Nachlass-Archivalien, die zum Entstehungszusammenhang von Hermann Burgers Lokalbericht (1970) gehören, aus einer interaktiven Visualisierung zur Genese dieses zu Lebzeiten unveröffentlicht gebliebenen Werks und aus einem Überblickskommentar. Richtungsweisend für die von Beginn an zugrunde gelegten Nachhaltigkeitsstrategien des Projekts waren offene Standards und Werkzeuge, Portabilität und ein minimaler Wartungsaufwand durch geringe serverseitige Programmierung. Die Möglichkeit, die komplette Edition als statisches HTML abzuspeichern, soll zudem zur langfristiger Konservierung und Zugänglichkeit führen.
Vera Faßhauers (Goethe-Universität Frankfurt am Main) Vortrag Nachhaltige Erschließung umfangreicher handschriftlicher Überlieferungen. Ein Fallbeispiel beschäftigte sich exemplarisch mit der Kombination von manuellen und digitalen Methoden zu teilautomatisierter Handschriftenerkennung am Beispiel der Senckenberg-Tagebücher. Ausgehend von der These, wonach langfristiger Zugang zu digitalisierten historischen Handschriftenarchiven nicht per se gleichbedeutend mit einer unbegrenzten Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und Weiterverwertbarkeit ihrer Inhalte ist, erkannte Faßhauser die nachhaltige Pflege des kulturellen Erbes über die bloß konservierende Ablichtung hinaus in einer Erschließung der in diesen Textbeständen enthaltenen Informationen. Anhand des Senckenberganwendungsfalls stellte Faßhauer die Ergebnisse der Schulung des Tools Transkribus zur automatischen Handschriftenerkennung auf der Grundlage der händisch erfolgten Transkription der ersten zwei Tagebücher vor. Die halbautomatische Texterfassung, die dadurch möglich wird, ermöglicht schließlich eine elektronische Durchsuch- und Auswertbarkeit des erkannten Textes.
In ihrem Vortrag Entwicklung und Einrichtung einer digitalen Arbeitsumgebung für die Jeremias Gotthelf-Edition. Ein Erfahrungsbericht schilderten Christian von Zimmermann (Universität Bern) und Patricia Zihlmann (Universität Bern) Chancen und Schwierigkeiten des Umstiegs eines editorischen Großprojekts auf ein exaktes, weitestgehend inhaltsorientiertes Markup und auf computerphilologische Arbeitsweisen und begründeten ihre Entscheidung für die Arbeitsumgebung ediarum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Überlegungen zu nachhaltigen Anschlussmöglichkeiten an und für andere ähnlich gelagerte Editionsprojekte und die Weiterverwendbarkeit von Schemata, Satzroutinen, Arbeitsumgebungen und digitaler Präsentationen scheiterten laut Zimmermann und Zihlmann weniger an Kodierungsstandards wie der TEI (als internationales editionsphilologischer Standard) als vielmehr an heterogenen Editionstypen und -prinzipien.
Der Vortrag von Alexander Czmiel (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) mit dem Titel Dokumentation, Werkzeugkasten, Pakete – Nachhaltigkeit von Daten und Funktionalität Digitaler Editionen fasste Lösungsansätze zur standardisierten und nachhaltigen Entwicklung digitaler geisteswissenschaftlicher Ressourcen zusammen. Modulbasiertes Programmieren ermögliche die punktuelle Ergänzung und Anpassung des jeweiligen Produkts und könne seine längerfristige Nutzbarkeit gewährleisten. Folgerichtig müssten sowohl der Code, die Daten als auch die Funktionen dokumentiert und zur Nachnutzung zugänglich gemacht werden. Eine verständliche und für die Diskussion offene Dokumentation stelle sich als einer der Schlüsselfaktoren für Nachhaltigkeit dar. Der Aufbau müsse bedarfsgerecht und nutzerorientiert erfolgen. Die Verwendung von Standards sowie von Open Source Entwicklungen sei ebenso essentiell wie die Reduktion von Komplexität durch einfache, erweiterbare und kompatible Anwendungen.
Ähnlich formulierte es das visuell wie inhaltlich äußerst ansprechende Poster Maßnahmen zur digitalen Nachhaltigkeit in Langzeitprojekten – Das Beispiel Capitularia des Capitularia-Projekts zur Edition der fränkischen Herschererlasse, das durch Daniela Schulz (Bergische Universität Wuppertal), Franz Fischer (Universität Köln), Nils Geißler (Universität Köln) und Martina Gödel (Universität Köln) präsentiert wurde. In fünf Bereichen, die den Themen 1. Datenhaltung und Dokumentation, 2. Technologien, 3. Datenmodellierung und Textauszeichnung, 4. Präsentation, Zugänglichkeit und Nachnutzbarkeit sowie 5. Infrastruktur gewidmet waren, identifizierte das Poster Stellschrauben, um Nachhaltigkeit gerade in digitalen Editionsprojekten mit langer Laufzeit zu erhöhen. Sowohl das Poster als auch der dazugehörige Posterslam wurden durch die Konferenzbesucher und das Veranstalterteam der Dhd2017 mit einem Preis ausgezeichnet.
Alle genannten Beiträge legen nahe, dass digitale Editionen schon zu Projektbeginn Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln müssen. Das geht einher mit einem Dringen auf Transparenz in der Vorgehensweise, den Strukturen und der Datenhaltung vor allem durch eine detaillierte und zugängliche Dokumentation. Sichergestellt werden soll zudem die Wieder- und Weiterverwendbarkeit der Daten mit einem Minimum an technischen und rechtlichen Einschränkungen (Open-Source, Open-Data, Lowtech-Lösungen, etablierte Standards). Speziell für digitale Editionen schließt das die Verwendung von XML/TEI, konsistente projekteigene Transkriptionsrichtlinien, stabilen ULRs/Links und Schnittstellenbereitstellung mit ein. Nicht zuletzt ist die Verbindung einer passgenauen technischen Lösung mit einer institutioneller Anbindung (Bibliothek, Archiv, Universität) der Schlüssel zur Sicherstellung der langfristige Aufbewahrung und der Erhaltung der dauerhaften Verfügbarkeit einer digitalen Ressource.
Die Abstracts zu Panels, Einzelvorträgen und Postern können hier nachgelesen werden.
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