Edition der Randnotizen. José L. Losada Palenzuela über sein Digitalisierungsprojekt zu den Marginalien Arthur Schopenhauers
Arthur Schopenhauer (1788‒1860) ist als Philosoph ein Begriff. Weniger bekannt ist hingegen, dass er auch Übersetzer war. So übertrug er u.a. das moralische Traktat Oráculo manual y arte de prudencia des spanischen Barockschriftstellers Baltasar Gracián (1601‒1658) ins Deutsche. Durch Schopenhauers Übersetzung wurde Graciáns Werk in Deutschland wieder bekannt und so verwundert es nicht, dass viele sogar denken, Schopenhauer selbst sei der Autor des Textes gewesen.
Dr. José L. Losada Palenzuela, der seit März zu Gast am Trier Center for Digital Humanities (TCDH) ist, promovierte zu Schopenhauers Übersetzung Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Die spanische Ausgabe, die der Philosoph für seine Translation nutzte, liegt heute gespickt mit seinen Markierungen und Notizen in der Universitätsbibliothek Frankfurt. Losada möchte diese Marginalien nun in eine digitale Edition überführen.
Schopenhauer selbst, der einen philosophischen Pessimismus pflegte, hätte sich über dieses Projekt überhaupt nicht gefreut, vermutet Losada augenzwinkernd, „das ist Unsinn, würde er sagen.“ Der Spanisch-Dozent, der an der Universität Breslau lehrt, sieht das allerdings anders. Er wünscht sich, mit der digitalen Edition einen Forschungsbeitrag zu leisten, und in der Tat könnte eine frei zugängliche Erschließung von Schopenhauers Marginalien eine Bereicherung sein ‒ nicht nur für die Literaturwissenschaft, sondern auch für die Philosophie- und Personengeschichte. Sie dokumentieren nach Losada nicht nur den Translationsprozess, sondern geben darüber hinaus auch Auskunft über die Gedankenwelt und Biographie des Philosophen Schopenhauer.
Warum hat sich Schopenhauer diesem Werk Graciáns angenommen? „Er war der Ansicht, dass jeder Mensch, egal welchen Standes, durch das Buch ‚klüger‘ werden kann“, so Losada, „allerdings hat man damals unter dem Begriff ‚Klugheit‘ eher ein praktisches Wissen verstanden.“ Die Sammlung von 300 Aphorismen, also Lebensweisheiten, hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt: „Das Handbuch ist in den USA immer noch ein Bestseller. Man verkauft es z.B. als Ratgeber für Unternehmer.“
Schopenhauer hat sich mit der Übersetzung keiner leichten Aufgabe gestellt. „Die Begrifflichkeit der Philosophie zu übersetzen, ist sehr kompliziert“, weiß Losada, „beispielsweise können die bekannten Termini wie ‚Verstand‘ und ‚Vernunft‘, die erst durch Kant präzise unterschieden wurden, auch nicht einfach in eine andere Sprache übersetzt werden, da sie eine philosophische Konnotation haben.“ In seiner Übersetzung musste Schopenhauer also genuine Bedeutungsinhalte berücksichtigen. „Das sieht man daran, dass Schopenhauer beispielsweise den Begriff ‚cultura‘ aus Graciáns Werk mit dem Wort ‚Bildung‘ übersetzt hat. Schopenhauer selbst verwendete in seinem Hauptwerk den Terminus ‚Bildung‘ dagegen kaum.“ Aber er hat an einigen Stellen Begrifflichkeiten auch vor dem Hintergrund seiner eigenen Weltanschauung gedeutet und in seine Übersetzung mit einfließen lassen.
Um solche Strukturen aufzudecken, typologisiert Losada in seiner Edition Marginalia einmal nach der äußeren Form, indem er vertikale Markierung (einfach oder mehrfach), Änderung, Fußnote sowie Unterstreichung unterscheidet. Im zweiten Schritt differenziert Losada die Randnotizen nach ihrem Gehalt. Hier will er aufzeigen, an welchen Bereichen Schopenhauer z.B. einen Erkenntnisprozess durchlebte, dem annotierten Inhalt zustimmte oder mit ihm auf Konfrontation ging, sich gar mit ihm identifizierte oder welche Stellen als Zitate später im Hauptwerk des Philosophen wieder auftauchen. „Z.B. hat Schopenhauer nur Sprichwörter unterstrichen. Das zeigt, wie wichtig ihm diese waren“, stellt Losada fest.
Zukünftig könnte dem User der Online-Edition eine Benutzeroberfläche zur Verfügung stehen, auf der per Mausover über die Marginalien entsprechende Interpretationen und Verweise eingeblendet werden. Am TCDH hat Losada nun jenseits seiner Lehrtätigkeit in Polen die Möglichkeit, dieses Vorhaben voranzubringen. Das sei der perfekte Ort, meint Losada. „Schließlich geht es hier um eine Digitale Edition und mir war das Zentrum vor allem wegen seiner tollen Projekte auf diesem Gebiet bereits bekannt. Das Goethe-Wörterbuch beispielsweise habe ich für meine Dissertation benutzt.“ Losada erzählt, dass er zuerst etwas verunsichert war, da das TCDH eigentlich viel größere Vorhaben umsetzt. Umso mehr freue er sich, dass er die Möglichkeit hat, seine Arbeit hier vorstellen zu können, in Diskussion zu bringen und hilfreiches Feedback zu bekommen. „Die Kolleginnen und Kollegen hier kennen sich sehr gut aus und haben keine Scheu konstruktive Kritik zu äußern. Dieser Austausch ist sehr fruchtbar.
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