Ein Schnitzel kocht man nicht mit Wasser
Ein persönliche Anmerkungen zur Tagung Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft
von Peter Andorfer, Austrian Centre for Digital Humanities Wien
Sein kurzes Resümee am Ende der Tagung Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft [1] beschloss Thomas Stäcker mit der persönlichen Anmerkung, es wäre beruhigend zu sehen, dass alle anderen digitalen Editionsprojekte auch nur mit Wasser kochen würden. Thomas, derzeit interimistischer Direktor der Herzog August Bibliothek (HAB) in Wolfenbüttel, war maßgeblich für die Konzeptualisierung und vor allem auch die Realisierung der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek (WDB) verantwortlich. Ein integraler Bestandteil der WDB ist dabei die Reihe Editiones Electronicae Guelferbytanae, also eine Reihe von vornehmlich in Kooperation mit der HAB entstandenen digitalen Editionen. Was meint Thomas, dem man eine profunde Expertise in der täglichen und konkreten Arbeit mit digitalen Editionen also nur schwerlich absprechen kann, nun mit dieser Aussage? Oder anders formuliert, wie kann man diese Aussage verstehen.
Bekanntlich meint die Redewendung „die anderen kochen auch nur mit Wasser“, dass andere auch nicht viel besser sind als man selbst ist. Eine Redewendung also, die einerseits zwar selbstkritisch, andererseits aber auch stets entschuldigend ist. Im Falle von Thomas, der WDB und deren digitalen Editionen bedeutet dies, dass diese ihre Mängel haben und dass man sich dessen auch bewusst ist. Gleichzeit hat nicht zuletzt die Tagung Digitale Metamorphosen aber gezeigt, dass auch andere der dort präsentierten Projekte fern von Perfektion sind, auch wenn ich persönlich die von Georg Vogeler vorgestellte digitale Edition mittelalterlicher Rechnungsbücher ausklammern würde.[2] So weit, so unspektakulär.
Doch kommen wir noch einmal zurück zum Ausdruck „auch nur mit Wasser kochen“. Zwei Anmerkungen:
Erstens sei festgehalten, dass man manche Gerichte schlichtweg nicht „nur mit Wasser kochen“ kann. Oder anders formuliert: Man kann ein Wiener Schnitzel zwar mit Wasser kochen, ich würde es aber – und ich denke ich bin mit dieser Meinung nicht alleine – nicht essen wollen. Außer man lässt die Panier weg, gibt Karotten, Sellerie, Zwiebel, Salz, Pfeffer, Majoran und Lorbeer ins Wasser, verwendet anstelle eine Kalbsschnitzel ein anderes Teil vom Rind und lässt das Ganze eine gute Weile für sich hin köcheln. Dieses Ergebnis würde ich essen, anstelle von Wiener Schnitzel würde ich es aber eher Tafelspitz nennen. Doch ich schweife ab.
Umgemünzt auf digitale Editionen ließe sich vielleicht die Analogie ziehen, dass alle insofern mit Wasser kochen, als die Zubereitung von digitalen Editionen weitgehend ähnlich ist. Das heißt: ich kodiere einen Text in XML/TEI und transformiere diesen nach HTML, vorzugsweise meist mittels XSLT, so dass die ganze Welt die kodierten Texte bequem im Browser meiner Wahl lesen kann. Klingt so einfach wie Nudeln kochen. Und die kocht man ja nun wirklich nur mit Wasser. Oder?
Zweitens: Auch beim Kochen mit Wasser kann man viel falsch machen und das beste Beispiel dafür sind die bereits erwähnten Nudeln. Egal wie gelungen die später beigemengte und mit allerhöchstem Aufwand kunstvoll gezauberte Sauce, einerlei ob Bolognese oder Carbonara schmecken mag, wurde das Salz im Nudelwasser vergessen oder die Pasta verkocht, so war die ganze Mühe umsonst. Da hilft dann auch der teuerste Trüffel nichts, da kann man hobeln was man will.
Wohl nicht nur die klügsten und schlausten unter den Leserinnen und Lesern werden merken, dass es hier aber gar nicht um Pasta geht. Aber was will ich mit meiner kruden kulinarischen Metaphorik nun eigentlich sagen? Mein subjektiver Eindruck ist, dass in vielen digitalen Editionsprojekten mit höchstem Aufwand (auch) an der Sauce gearbeitet wird, sprich an der Darstellungsform der Pasta, wobei Pasta hier natürlich für die Daten steht. Und die meisten schaffen es auch, eine durchwegs anständige Pasta mit Tomatensauce zu kochen, die den Magen füllt und schmeckt. Das heißt:
- Daten/Texte können im Browser dargestellt werden,
- ergänzende Informationen werden in Form verschiedener Apparate und Register angezeigt,
- Personen, Orte und teils auch Schlagworte sind häufig mit Normdaten verknüpft
- und – das nach wie vor wohl wichtigstes Feature digitaler Editionen, wenn man deren Nutzerinnen und Nutzer fragt – die durch die digitale Edition erschlossenen Texte können, manchmal mehr, manchmal weniger granular und modular im Volltext durchsucht werden.
Manche Projekte kreieren sogar Saucen, die selbst den von Google & Co verwöhnten Feinschmecker und Feinschmeckerinnen in Sachen User Interface, Benutzerführung, Layout und Design bejubelt werden. Und manche generieren aus ihren Daten auch noch die eine oder andere Visualisierung, manchmal nur statisch, manchmal sogar interaktiv und on the fly. Das freut dann vor allem wohl die Geldgeber und beeindruckt jene, die von dem meist geringen technischen Aufwand, der mit der Erstellung solcher Visualisierungen einhergeht keine Ahnung haben. Wie groß die Schnittmenge zwischen diesen beiden Gruppen ist, kann ich nicht einschätzen… .
Um die Metaphorik von Pasta, Saucen und Kochen vollends zu Tode zu reiten, sei noch eine letzte und diesmal noch verbogenere Analogie erlaubt. Und damit meine ich nicht das Problem unterschiedlicher Haltbarkeit von Saucen und (ungekochter) Pasta. Thomas konstatierte, alle würden weitgehend mit Wasser kochen und ich habe behauptet, die meisten wären auch im Stande eine einigermaßen zweckmäßige Pasta mit Tomatensauce zu kochen. So alles in Butter? Butter bei den Fischen? Nur wenn ich Pasta mit Tomatensauce mag. Doch selbst dann: Immer nur das essen zu können, was einem vorgesetzt wird, wird auf Dauer auch langweilig. Denn, wie ein mir leider unbekannter Mensch einst gesagt hat: „Wer jeden Tag ein Schnitzel isst, der weiß nie wann dann Sonntag ist“.
Noch schlimmer wird es dann, wenn man von einer innerhalb der DH-community sich zunehmend ausweitenden allergischen Reaktion betroffen ist. Eine Reaktion, die sich immer dann bemerkbar macht, wenn man gezwungen wird, ausschließlich mit bereits prozessierten Daten, also mit der HTML Darstellung von XML/TEI arbeiten zu müssen. Eine Reaktion, die immer dann zum Vorschein kommt, wenn einem bewusst oder unbewusst der Zugang zu den Daten verweigert wird und man nicht eigenständig, mit Werkzeugen der eigenen Wahl und unabhängig von einer möglichen fachlichen oder inhaltlichen Ausrichtung der jeweiligen online Edition damit arbeiten kann. Eine leichte Minderung des im Falle einer solchen allergischen Reaktion eintretenden Juckreizes, so meine persönliche Erfahrung, kann dann nur noch die Lektüre von Ryann Mitchells Buch Web Scraping with Python, erschienen 2015 bei O’Reilly verschaffen.
Sein kurzes Resümee am Ende der Tagung Digitale Metamorphose: Digital Humanities und Editionswissenschaft beschloss Thomas Stäcker mit der persönlichen Anmerkung, es wäre beruhigend zu sehen, dass alle anderen digitalen Editionsprojekte auch nur mit Wasser kochen würden. Dem möchte ich nicht widersprechen. Beunruhigend ist jedoch, dass offenbar immer noch viele Projekte ohne Salz im Wasser kochen. So wies Ulrike Henny in ihrem Vortrag (Reviewing von digitalen Editionen) zu ride [3] darauf hin, dass gerade einmal zwei der bisher 15 besprochenen digitalen Editionen ihre Daten über Schnittstellen zur Vefügung stellen würden.
Ich hoffe allerdings, dass diese Projekte nur darauf vergessen haben, ihre Daten auch frei zugänglich zu machen. Realistischerweise ist jedoch auch zu fürchten, dass in mancher digitalen Edition bewusst auf das Salz verzichtet wurde. Vielleicht, weil sie glauben, ohnehin perfekt kochen zu können, vielleicht aber auch, weil sie noch nie gehört haben, dass man beim Nudelkochen Salz ins Wasser geben muss. Egal aber ob vergessen oder nicht, einen Salzstreuer auf den Tisch zu stellen, sollte immer noch möglich sein.
[1] http://www.mww-forschung.de/fileadmin/user_upload/_imported/fileadmin/user_upload/MWW/Veranstaltungen/Programm_Metamorphose.pdf.
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