Digital Humanities – Gedanken zum Politikum der Wissenschaft

0 Veröffentlicht von Sonja Palfner am

 

„Speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften lässt sich seit gut einer Dekade beobachten, dass deren Forschungsinfrastrukturen eine Transformation durchlaufen: sie wandeln sich von tradierenden und Fachinformationen bevorratenden Hilfseinrichtungen zu Inkubatoren für neue und innovative wissenschaftliche Fragestellungen aufgrund von Forschungsdaten, die durch diese Infrastrukturen selbst erzeugt werden.“ (Wissenschaftsrat 2011: S. 7)

 

Ein Blick in die aktuelle Wissenschaftslandschaft genügt, um festzustellen: Wer heute von Wissenschaft redet, kommt nicht am Thema Infrastrukturen – und damit an der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Forschung – vorbei. Unter Forschungsinfrastrukturen werden vom Wissenschaftsrat „Instrumente und Institutionen“ (Wissenschaftsrat 2011: S. 13) verstanden: Großgeräte, verteilte Forschungsinfrastrukturen, Sammlungen, Datenbanken, E-Infrastrukturen und soziale Forschungsinfrastrukturen (siehe auch Wissenschaftsrat 2013: S. 8). Forschungsinfrastrukturen, so lässt sich dem obigen Zitat entnehmen, seien erstens im Begriff sich zu wandeln und sie würden zweitens im Zuge dieses Wandels zu zentralen Akteuren in der Forschungslandschaft werden. Die hier postulierte Neuheit hält selbstredend einer historischen Betrachtung der wissenschaftlichen Bedeutung von „Hilfseinrichtungen“ kaum stand; man denke an die Bedeutung von Bibliotheken oder an Rechenzentren, die – obwohl institutionell immer wieder zu Serviceeinheiten degradiert – Forschung betreiben. Und doch ist die Darstellung des Wissenschaftsrats symptomatisch für eine Ordnung der Wissenschaft, die darauf baut, dass zwischen epistemischen und helfenden Praktiken unterschieden wird. Innerhalb dieser Ordnung werden Einrichtungen, Menschen und Prozesse arbeitsteilig arrangiert, Karrierewege geleitet und Ressourcen verteilt. So ist die obige Diagnose des Wissenschaftsrats über einen Wandel nur möglich auf Basis einer Annahme über die bestehende Differenz zwischen Forschung und Service-Infrastrukturen, wobei diese zumeist als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Gleichzeitig – und das ist spannend an aktuellen Äußerungen im Kontext der Digital Humanities[1] – wird diese etablierte Ordnung mit ihrer vermeidlich klaren Rollenzuweisung zwischen Erkenntnisgewinnung und Infrastruktur im Foucaultschen Sinne problematisiert, sprich als „Gegenstand fürs Denken konstituiert“ (Foucault 1989: S. 17).[2] Oder anders formuliert: Hier bewegt sich was, hier werden Selbstverständlichkeiten neu vermessen, hier passiert struktureller Wandel.

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[1] Was sind die Digital Humanities? Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Von Protagonisten der Digital Humanities (DH) werden diese häufig als Disziplin bezeichnet; Community ist ebenso ein gängiger Begriff im Zusammenhang mit den DH. Es finden sich überdies Merkmale einer sozialen Bewegung. Vielleicht kann man sie auch – in Anlehnung an das soziologische Konzept des Boundary Object (Star/Griesemer 1989) – als Boundary Assamblage fassen, da unter dem Dach der DH unterschiedliche Wissenschaftlergruppen mit unterschiedlichen Forschungsinteressen zusammenkommen und gleichzeitig so etwas wie eine DH-Identität und ein institutionell stabiler Kern ausgebildet wird.

[2] „Problematisieren heißt nicht Repräsentierung eines schon existierenden Gegenstandes und auch nicht Kreierung eines nicht existierenden Gegenstandes durch den Diskurs. Sondern das Ensemble diskursiver oder nicht diskursiver Praktiken, das etwas ins Spiel des Wahren und des Falschen eintreten lässt und es als Gegenstand fürs Denken konstituiert ) sei es in Form der moralischen Reflexion, der wissenschaftlichen Erkenntnis, der politischen Analyse usw.).“ (Foucault 1989. S. 17f.)

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