Nach Feierabend…
… ist leider, wie viele all zu häufig erleben, nicht zwingend der Zeitpunkt, zu dem man die Arbeit gedanklich oder geographisch hinter sich lässt, um sich seiner „Life-Work-Balance“ zu widmen. Nach Feierabend ist nicht selten auch der Zeitpunkt, zu dem es erst richtig los geht. Begrüßen sollten wir dies im Falle des 9. Bandes des Zürcher Jahrbuchs für Wissensgeschichte, das am Zentrum für Wissensgeschichte der ETH Zürich herausgegeben wird und vor wenigen Tagen im Diaphanes Verlag erschienen ist. Besonders wenn, neben der intellektuellen Anregung, auch ein akademischer Schmunzler gestattet ist, denn „Nach Feierabend“ ist der Titel der Zürcher Jahrbücher, der so ihre Tradition zum konstruktivistischen Wissenschaftshistoriker Paul Feyerabend aufrecht erhält. Ob dies nun als Kalauer zu werten ist, sei jedem selbst überlassen.
Unzweifelhaft positiv sollte hingegen gesehen werde, dass dieser Band dem Leitthema „Digital Humanities“ gewidmet ist. Nun mag so manch einer, wie nicht selten zu hören ist, anmerken, dass von allen Seiten versucht wird auf einen Zug aufzuspringen, der sich zur Zeit gut verkauft, und dies auch noch ohne wirklich Digital Humanities zu praktizieren (im strengen Sinne einer Code geleiteten Methodik). Ich sehe jedoch in der abgrenzenden Selbstpflege einer exotischen und belächelten, aber avantgardistischen Community als die sich die Digital Humanities lange Zeit gern gesehen und genossen haben keinen Selbstzweck und schon gar kein Mittel zu Stärkung der Digital Humanities. Die Aporie zwischen Code und Text, die nicht selten auf eine Gegenüberstellung von „traditionellen“ versus digitalen Geisteswissenschaften übertragen wird und öffentlichkeitswirksam gern auch als „Show don’t Tell“ formuliert wird, ist nur eine Aporie weil sie alzu gerne in der Euphorie neuer technologischer Möglichkeiten zu einer solchen gemacht wird.
Code und Text sind weder widersprüchlich noch ineinander überführbar, auch wenn versierte Coder den Text gerne ersetzen wollen und Medienwissenschaftler den Code zu häufig allein im Epistem des Textes wahrnehmen. Text und Code müssen ihre Beziehung zueinander finden und eben dies beginnen nun auch Digital Humanities und „traditionelle“ Geisteswissenschaften. Herauskommen werden keine Geisteswissenschaften, die identisch sind mit dem Selbstverständnis der gegenwärtigen Digital Humanities. Vielleicht ist auch deswegen die Ablehnung immer noch recht groß, die den sich häufenden theoretischen Ansätzen aus Kultur- und Medienwissenschaften sowie Philosophie von den Digital Humanities entgegengebracht wird. Auf der anderen Seite werden Konzepte, Methoden und Ansätze der Digital Humanities in weiten Teilen unhintergehbar bleiben und zu einer substanziellen Transformation der Geisteswissenschaften beitragen. Im Sinn einer solchen Transformation „aus beiden Richtungen“ steht die oben aufgeführte Publikation, zu der ich – dies möchte ich nicht zum blinden Fleck meines Plädoyers machen – mit dem Titel „Text, Denken und E-Science: eine intermediale Annäherung an eine Konstellation“ auch etwas beitragen durfte. Nicht unerwähnt bleiben darf die Publikation eines der letzten, wenn nicht der letzte Artikel des kürzlich verstorbenen Peter Harber. Aus dem Inhalt:
- Philipp Theisohn: Verteidigung der Paraphrase. Das Wiedererzählen und die Krise der Geisteswissenschaften
- Niels-Oliver Walkowski: Text, Denken und E-Science. Eine intermediale Annäherung an eine Konstellation
- Max Stadler: Der Geist des Users. Oder: vom Ende des »Boole’schen Traums«
- Philippe Wampfler: »online first«. Geisteswissenschaften als Social Media
- Tobias Hodel: Das kleine Digitale. Ein Plädoyer für Kleinkorpora und gegen Großprojekte wie Googles Ngram-Viewer
- Omar W. Nasim: Was ist historische Epistemologie?
- Nathalie Dietschy, Claire Clivaz, Dominique Vinck: Ein digitales Kulturobjekt. Der Fall der »Restaurierung« des Ecce homo von Borja
- Alfred Messerli: Neue und neueste Versuche einer allgemeinen Erzähltheorie. Zu Fritz Breithaupts und Albrecht Koschorkes Studien
- Peter Haber: »Google-Syndrom«. Phantasmagorien des historischen Allwissens im World Wide Web
- Philipp Sarasin: Schlaue Maschinen. Peter Habers kritische Medienwissenschaft und unsere Lage im Netz heute
Titel | Nach Feierabend 2013: Digital Humanities |
Herausgeber | David Gugerli, Michael Hagner, Caspar Hirschi, Andreas B. Kilcher, Patricia Purtschert, Philipp Sarasin, Jakob Tanner |
Verlag | Diaphanes Verlag, 2013 |
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