DH-Professuren im deutschsprachigen Raum visualisiert
Jan Horstmann (Universität Münster), Christof Schöch (Universität Trier)
Die Etablierung der Digital Humanities lässt sich anhand mehrerer Merkmale beobachten und analysieren, z.B. der Publikation DH-bezogener Forschungsbeiträge, der Bewilligung und Förderung von DH-Projekten, der Etablierung von Studiengängen mit Anteilen von oder explizitem Fokus auf DH, der Gründung von DH-Forschungszentren und – last but not least – der Ausschreibung und Besetzung von DH-Professuren. Für den deutschsprachigen Raum hat sich Patrick Sahles laufend aktualisierter Blogbeitrag „Professuren für Digital Humanities“ (https://dhd-blog.org/?p=11018; Zugriff: 08.07.2024) als eine zentrale Anlaufstelle herauskristallisiert: Er verzeichnet die seit 2008 ausgeschriebenen DH- (oder DH-bezogenen) Professuren im deutschsprachigen Raum, derzeit 139 an der Zahl. In quantitativer Hinsicht lässt sich dort ein guter Überblick gewinnen, etwa wie viele DH-Professuren pro Jahr ausgeschrieben wurden (bislang ist das Jahr 2021 mit 16 Ausschreibungen der Titelverteidiger).
Was dort fehlt, ist die Möglichkeit, die DH-Professuren im deutschsprachigen Raum auch in örtlicher und zeitlicher Indizierung in den Blick zu nehmen und dadurch verschiedene Fragen leichter zu beantworten, darunter: Welche Orte haben sich wann als DH-Standorte etabliert, indem sie eine oder mehrere DH-Professuren ausgeschrieben haben? Wo sind wann mehrere Professuren entstanden? Wo sind befristete Professuren nicht dauerhaft eingerichtet worden? Und vieles mehr. All dies kann eine interaktive, dynamische Kartenvisualisierung übersichtlich darstellen. Die dafür nötige Art der Zeit-Raum-Visualisierung ist im DARIAH-DE Geo-Browser (https://de.dariah.eu/geobrowser; Zugriff: 08.07.2024) anders möglich als etwa in Wikidata, weshalb wir die Sahle’schen Daten für die Anzeige in diesem Tool aufbereitet haben – und versuchen werden, sie zukünftig regelmäßig zu aktualisieren.1
Link zum Datensatz: https://geobrowser.de.dariah.eu/edit/index.html?id=EAEA0-B2E1-D8CE-AA03-0
Link zur Visualisierung: https://geobrowser.de.dariah.eu/index.html?csv1=https://cdstar.de.dariah.eu/dariah/EAEA0-B2E1-D8CE-AA03-0
Mit dem Fokus auf die raumzeitliche Verortung von DH-Professur-Ausschreibungen im deutschsprachigen Raum setzen wir einen etwas anderen Akzent als verwandte Projekte wie etwa: Mapping the Digital Humanities (Christof Schöch, Mapping the Digital Humanities, v0.1.0, March 2024. Digital Humanities Trier. URL: https://dhtrier.quarto.pub/dhmap/; Zugriff: 08.07.2024) oder Till Grallerts Vorstöße mit Daten aus Wikidata (vgl. https://digitalcourage.social/@tillgrallert/112575546388768661; Zugriff: 08.07.2024).
Methode und Beispiele
Im Folgenden erläutern wir die methodischen Entscheidungen, die unserer Visualisierung zugrunde liegen. Prinzipiell erbt unsere Darstellung freilich die Data-capture-Entscheidungen, die bereits die Liste im Blogbeitrag Patrick Sahles bestimmen (und dort erläutert sind). Der Blog dient als Verzeichnis der seit 2008 im deutschsprachigen Raum erfolgten Ausschreibungen für DH-Professuren, ein Anspruch auf Vollständigkeit wird dabei nicht erhoben. DH-Professuren, die besetzt, aber nicht ausgeschrieben wurden, werden nicht aufgeführt. Ein Listeneintrag besteht aus einer fortlaufenden Nummerierung sowie Jahr der Ausschreibung, Ort, Stufe, Denomination, Zuordnung und Ergebnis der Ausschreibung, zum Beispiel:
- 33, 2015, Wien, A1, Digital Humanities, Historisch-kulturwissenschaftliche Fakultät, Andrews
Dies lässt sich lesen als: 2015 wurde an der Historisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien eine unbefristete A1-Professur für „Digital Humanities“ ausgeschrieben und (nach Durchlaufen des Verfahrens, also in der Regel deutlich später) durch Tara Andrews besetzt.
Zwei Angaben sind für die raum-zeitliche Visualisierung über das Jahr der Ausschreibung hinaus besonders wichtig und sollen aus diesem Grund hier noch einmal kontextualisiert werden: Die Kategorie „Ort“ bezeichnet den Sitz der Hochschule, an dem die jeweilige Stelle ausgeschrieben wurde. Handelt es sich um eine Universität, wird auf den Eigennamen verzichtet (z.B.: „Düsseldorf“ statt „Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf“). Vorteil davon ist, dass der Eintrag im Falle einer Umbenennung wie zuletzt etwa in Münster („Westfälische Wilhelms-Universität Münster“ zu „Universität Münster“) nicht angepasst werden muss. Fachhochschulen werden durch „FH“ gekennzeichnet. Bei Orten mit mehreren Universitäten erfolgt eine Präzisierung (z.B.: „Berlin (TU)“ für Technische Universität Berlin, „Berlin (HU)“ für Humboldt-Universität zu Berlin und „Berlin (FU)“ für Freie Universität Berlin). In unserer Visualisierung werden die Institutionen unterschieden, aber nicht an unterschiedlichen Orte innerhalb der jeweiligen Stadt visualisiert. In der Kategorie „Stufe“ wird durch „*“ auf eine befristete oder durch „°“ auf eine nebenberufliche Professur verwiesen. Bei dem Element Ergebnis wird durch „offen“ auf eine noch unbesetzte Stelle, durch „-„ auf ein abgebrochenes Verfahren und durch graue Unterlegung auf das Wiederverlassen der Stelle verwiesen. Zeitpunkte und -abläufe beziehen sich demnach auf den Zeitpunkt der Ausschreibung (mit dem Jahr als kleinste verwendete Zeiteinheit) sowie eine mögliche Befristung. Soweit ermittelbar, sind die Informationen zur Dauer der Besetzung einer Professur durch eine Person in den Datensatz aufgenommen worden.
Der DARIAH-DE Geo-Browser ermöglicht die dynamische und statische Darstellung von Daten und deren Visualisierung in einer Korrelation von geografischen Raumverhältnissen zu Zeitpunkten und -abläufen. Mittels der Visualisierung können räumliche Konzentrationen und Trends ersichtlich werden. Zur Visualisierung mittels des Geo-Browsers müssen die Datenstrukturen den Anforderungen des Geo-Browsers angepasst werden. Ein Eintrag des Geo-Browsers besteht aus neun Elementen: Name, Address, Description, Longitude, Latitude, Time Stamp, Time Stamp:begin, Time Stamp:end und GettyID.
- Name besteht aus der Kombination „Universität Ort“ oder „Fachhochschule Ort“. Eine Präzisierung erfolgt nur, wenn sie durch mehrere Universitäten notwendig wird.
- Address besteht aus dem Ortsnamen der Universität oder Hochschule. Für Universitäten oder Hochschulen, die an mehreren Orten lokalisiert sind, verwenden wir den erstgenannten Ort (z.B. Universität Erlangen-Nürnberg hat als Address „Erlangen“). Eine Zuordnung zu mehreren Orten ist im Geo-Browser nicht möglich.
- Description umfasst Stufe, Denomination, Zuordnung und Ergebnis der Ausschreibung nach folgendem Schema: Ergebnis: Denomination (Stufe), Zuordnung.
- Longitude, Latitude und GettyID wurden mit dem „Getty Thesaurus of Geographic Names (TGN)“ (https://www.getty.edu/research/tools/vocabularies/tgn/; Zugriff: 08.07.2024) ermittelt. Mit TGN kann jedem Ort genau ein Längen- und Breitengrad sowie eine eindeutige GettyID (eine Identifikationsnummer) zugeordnet werden. Eine exaktere Lokalisierung ist dem Sinn des Blogs entsprechend nicht vonnöten.
- Timestamp wird freigelassen, da keine exakten Zeitpunkte bestimmt werden müssen.
- Time Stamp:begin erhält als Eintrag das Jahr der Ausschreibung in der Form 20xx-01-01.
- Time Stamp:end haben wir bei unbefristeten Stellen beispielhaft generell auf 2039 gesetzt, damit die Zeitleiste in einem überschaubaren Rahmen bleibt. Bei befristeten Juniorprofessuren verwenden wir das Fristende der jeweiligen Professur. Bei abgebrochenen Ausschreibeverfahren sind time stamp:begin und time stamp:end identisch, wodurch der entsprechende Eintrag in der dynamischen Visualisierung unberücksichtigt bleibt. Im statischen Modus wird der entsprechende Eintrag dargestellt.
Einige konkrete Beispiele aus unserem in dieser Art modifizierten Datensatz vermögen die Details zu verdeutlichen:
- Universität München, München, Schröter: Digitale Literaturwissenschaften (W2* mit TT W2), Department Germanistik, 13.466667, 48.7, 2022-01-01, 2028, 7134068
Dieses Datenelement wird gelesen als: Am Department Germanistik der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde 2022 eine (zum Zeitpunkt der Ausschreibung) bis 2028 befristete W2-Professur (mit Tenure Track) für Digitale Literaturwissenschaften ausgeschrieben und durch Julian Schröter besetzt. München besitzt die GettyID 7134068 und (das Stadtzentrum) befindet sich nach TGN bei Längengrad 13.466667 und Breitengrad 48.7.
- Universität Heidelberg, Heidelberg, offen: Papyrologie und Digitale Erforschung antiker Schriftzeugnisse (W3), Heidelberg Center for Digital Humanities (HCDH), 8.916667, 48.316667, 2024-01-01, 2039-12-31, 7166144
Dieses Datenelement wird gelesen als: Am Heidelberg Center for Digital Humanities (HCDH) der Universität Heidelberg wurde 2024 eine unbefristete W3-Professur für Papyrologie und Digitale Erforschung antiker Schriftzeugnisse ausgeschrieben. Die Stelle ist noch unbesetzt. Heidelberg besitzt die GettyID 7166144 und (das Stadtzentrum) befindet sich nach TGN bei Längengrad 8.916667 und Breitengrad 48.3166667.
Abschluss
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass unsere raumzeitliche Visualisierung der DH-Professuren im deutschsprachigen Raum eindrucksvoll die dynamische Entwicklung und die wachsende Bedeutung der Digital Humanities in der akademischen Landschaft aufzeigt. Diese kartografische Darstellung ermöglicht es, nicht nur die Verteilung und Häufigkeit der Professuren zu analysieren, sondern auch Hotspots oder ‘einsame Helden’ der DH-Entwicklung zu identifizieren. Durch die Integration in den DARIAH-DE Geo-Browser bieten wir Forscherinnen und Forschern, DH-Strukturverantwortlichen, Infrastruktureinrichtungen sowie der interessierten Öffentlichkeit eine neue Perspektive auf die Daten aus dem Blogpost von Patrick Sahle an. Die zunehmende Verbreitung und Etablierung von DH-Professuren zeigt jedenfalls, dass die Digital Humanities eine zentrale Rolle in der Zukunft der Geisteswissenschaften spielen werden.
[1] Wir danken herzlich Vincent Anker (studentische Hilfskraft im Service Center for Digital Humanities (SCDH) der Universität Münster) für seine tatkräftige Unterstützung bei der Aufbereitung der Daten.
Ina Serif
Eine schöne Weiternutzung der Daten! Mir ist beim Stöbern aufgefallen, dass bei einigen Orten die Koordinaten etwas verrutscht sind – Stuttgart liegt am Bodensee, Heidelberg auf der Schwäbischen Alb und München grad bei Passau. Vielleicht kann das bei der nächsten Aktualisierung noch korrigiert werden.
Jan Horstmann
Vielen Dank @Ina Serif für diesen Kommentar und den genauen Blick, das ist sehr hilfreich! Sobald es im Geobrowser wieder möglich ist, die zugrundeliegenden Daten zu ändern (da gibt es scheinbar gerade technische Schwierigkeiten, die mir die Bearbeitung unmöglich machen), nehme ich die angesprochenen Änderungen sehr gerne vor.
Jan Horstmann
Liebe @Ina Serif, die genannten Orte sollten nun an der richtigen Stelle angezeigt werden. 🙂
Professuren für Digital Humanities | DHd-Blog
[…] es gibt eine raum-zeitliche Visualisierung der hier gebotenen Daten von Jan Horstmann und Christof Schöch, erstmalig Juli […]