Provenienzforschung im digitalen Zeitalter

1 Veröffentlicht von Anna-Lena Brunecker am

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Reisestipendiums für die Jahrestagung des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich beim NFDI4Memory und den Organisator*innen der DHd2023 für das Stipendium.

„Die Digitalisierung wird auch in Zukunft der Provenienzforschung ganz neue Möglichkeiten eröffnen.“,1 prophezeit Christoph Zuschlag in seiner Einführung in die Provenienzforschung. Und tatsächlich war die Provenienzforschung – ein aktuell öffentlich viel diskutiertes Thema – ebenfalls mit einem Panel bei der DHd 2023 vertreten.

Den Anfang machte der Vortrag „Provenienzforschung und ihre Quellenbestände. Aktuelle Nutzungsszenarien zwischen Open Access und Inaccessibility“ von Ruth von dem Bussche und Meike Hopp,2 welcher das Projekt der Datenerschließung der B 323 der Treuhandverwaltung von Kulturgut im Bundesarchiv in Koblenz vorstellte. Diese Akten, die bisher nur über das Findbuch erschlossen waren, wurden in EAD XML zu einem abfragbaren Wissensgraphen modelliert und können so größere historische Zusammenhänge und inhaltliche Querverweise innerhalb des Bestandes aufgezeigt werden und die Daten mit Informationen aus anderen Provenienzforschungsprojekten angereichert werden. Es seien noch Volltextrecherche-Möglichkeiten mit Hilfe von ElasticSearch und dem IIIF-Viewer Mirador in Planung, die die Forschung stark unterstützen würden. Tatsächlich würde die Provenienzforschung von der digitalen Zugänglichmachung von Aktenmaterialien und anderen Quellen stark profitieren, leider stoßen Digitalisierungsprojekte allerdings immer wieder an die Grenzen des heutigen Rechtsrahmens: die Wahrung von Personenrechten, insbesondere bei diesem sensiblen Thema, macht es häufig nicht möglich, Daten ohne ein aufwendiges Überprüfungsverfahren offenzulegen. Offene Daten, wie sie in den Digital Humanities im Rahmen der FAIR-Prinzipien gefordert werden, sind für Archive häufig keine Option, da gewährleistet werden muss, dass alle Persönlichkeitsrechte beachtet werden.3 Des Weiteren betonen Hopp und von dem Bussche, dass es wichtig wäre, die verstreuten Datensilos mit Forschungsergebnissen existierten, zusammenzuführen. Größere Projekte würden durch Geldmangel und das Drittmittelpräkariat allerdings häufig verhindert.

Abseits von Forschungen, die die Auffindbarkeit von Provenienzinformationen in Akten erleichtern soll, wurde in dem Vortrag von Sabine Lang „‚Mind the Gap‘: Von Lücken in der Provenienzforschung und ihrer Präsenz im digitalen Raum“ auch die wichtige Frage der Verständlichkeit, Vollständigkeit und Einheitlichkeit von Provenienzangaben untersucht. Ihr Vortrag konnte am Beispiel verschiedener online zugänglicher Museumsdatenbanken zeigen, dass die Daten zur Provenienz dringend vereinheitlicht werden müssen. Häufig seien die Angaben sehr heterogen, Lücken in der Forschung oder in der Provenienz häufig gar nicht erkennbar oder werden durch schwere Lesbarkeit für Laien schwierig zu verstehen. Dies zeigt, dass Initiativen, die die Objektgeschichte mithilfe einer Ereignis-Modellierung darstellen, sehr fruchtbar für die Provenienzforschung und ihre Kommunikation wären. Eine Standardisierung von Provenienzangaben wäre, angefangen von der Sammlungsgeschichte, über Objektbiographien hin zu der konkreten Provenienz-Erforschungen von starkem Wert, da so erhebliche ungewollte Verfälschungen vermieden werden können.

Der letzte Beitrag öffnet die Thematik von Provenienzforschung zu im Nationalsozialismus entzogenen Kulturgütern und Provenienzforschung im Sammlungsmanagement auf die postkoloniale Perspektive. Sarah Wagner und Alona Dubova (und Aaron Marquart) stellten in ihrem Vortrag „How to Open Heritage? Digitale Erschließungskonzepte für Provenienzforschung am Museum für Naturkunde Berlin“ das im Rahmen des „Zukunftsplans“ die Erforschung und digitale Erschließung der Sammlung vor.4 Es soll anhand von Inventaren, Reiseberichten, Akten, historischen Bestandsrekonstruktionen, Museumsführern und Bildern aus den Objektakten eine Buch-Publikation und eine virtuelle Forschungsumgebung auf der Grundlage von WissKi entstehen. Die Quellenauswahl könne aufgrund der Förderungsbegrenzung des Projektes nur Quellen bis 1805 analysieren, in die Erforschung sollen auch die Herkunftsgesellschaften mit einbezogen werden. Dies zeigt sich u.a. an der Kooperation mit der Universität Daressalam, die den Nachlass Georg Zenkers bereitstelle. Die Provenienzforschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten habe auch ihre eigenen Tücken, die u.a. die Problematik mit einschließen, dass die Objekte in den Inventaren zu summarisch beschrieben werden, um sie tatsächlich zuzuordnen, was die Erforschung erschwere. Insbesondere für Koloniale Provenienzforschung bieten virtuelle Forschungsumgebungen eine große Chance, wie z.B. das Projekt „Digital Benin“ zeigte,5 welches versucht möglichst viele Objekte aus dem Königreich Benin zumindest online zu versammeln, um sie der Forschung zugänglich zu machen. Insbesondere in der Verknüpfung mit den Forschungen und Initiativen im Themenbereich „Decolonizing DH“, eröffnet sich so ein weites Feld der Fragen, denn die Datenkuration reflektiert immer auch die Prioritäten und Anschauungen des Kurators, die berücksichtigt werden müssen. Es werden noch weitere Projekte folgen, die die Frage der Provenienz – nicht nur des Nationalsozialismus oder Kolonialismus, sondern auch in der DDR – digital zu beantworten suchen. Die Frage ist eher, welche Möglichkeiten werden digitale Methoden der Provenienzforschung noch bieten?

1 Zuschlag, Christoph: Einführung in die Provenienzforschung. Wie die Herkunft von Kulturgut entschlüsselt wird, München 2022, S. 42.

2 Weitere Informationen zu dem Projekt in dem Artikel: Bussche, Ruth von dem; Hopp, Meike (2022), Der „Bestand B323“ als Knowledgegraph für die Provenienzforschung. Methodische Überlegungen zur Verarbeitung von Archivdaten als Linked Open Data, in : Archivar (2022, 1) und Daten zum Projekt https://github.com/art-provenance/b323.

3 Vgl. Mark Steinert, Und dürfen wir das alles? – Archivrechtliche Rahmenbedingungen im Überblick, in: Archivpflege in Westfalen-Lippe 77, 2012.

4 https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/zukunft/zukunftsplan

5 https://digitalbenin.org/


Ein Kommentar Kommentar schreiben
  • no image

    Das war die DHd2023! | DHd-Blog

    Antworten

    […] Anna-Lena Brunecker, Provenienzforschung im digitalen ZeitalterLink zum Blogpost […]

Kommentar schreiben