DH in den Medien: Die FAZ über Digitale Geschichtswissenschaft
Wenn in den Medien über DH berichtet wird, startet meine Rezeption immer mit gemischten Gefühlen: Freude, dass wargenommen wird, woran man arbeitet und was einen selbst interessiert; Sorge, ob ein sinnvoller Bericht dabei herauskommt und ob der Journalist oder die Journalistin auch verstanden hat, wovon er oder sie schreibt. Beim Lesen des Artikels „Mittel auf der Suche nach einem Zweck“ von Thomas Thiel, FAZ, 11.2.2013, überwiegt die Freude über eine gelungene Annäherung an ein nicht ganz einfaches Thema: der zunehmende Einsatz digitaler Verfahren in den Geschichtswissenschaften und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Methodik und die Praxis der Geschichtsforschung bzw. Geschichtsschreibung. Am Rande rührt das natürlich auch an einer der Grundfragen, die uns wohl alle hier umtreiben: Helfen digitale Werkzeuge bei der besseren Beantwortung alter Fragen? Führen sie zu einer Veränderung der Fragestellungen? Legen sie ganz neue Fragen nahe?
Am Beispiel der Tendenz zu quantifizierenden, jedenfalls aber formalisierten Untersuchungen, die sich hier vor allem auf Textmining und Textanalyse beziehen und für den Bereich der historischen Forschung wird dies zumindest angedeutet. Dabei ist klar, dass im Mainstream der Forschung und in der journalistischen Berichterstattung zunächst nur die einfachsten Verfahren ankommen: hier das Vorkommen oder gemeinsame Vorkommen (Co-Occurence) von Wörtern in Textkorpora. Dass dabei eine gewisse Neuheit behauptet werden muss, ist der Logik des Journalismus geschuldet. Den durchschnittlichen FAZ-Leser wird schließlich nicht so sehr interessieren, dass genau diese Fragen auch schon Pater Busa vor 60 Jahren beim Aufbau seines Index Thomisticus angetrieben haben, dass sich seit Jahrzehnten die Digital Humanities und Spezialbereiche wie die Computerlinguistik oder die in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schon einmal in Blüte gestanden habende quantifizierende Geschichtsforschung mit diesen Verfahren beschäftig(t)en und dabei theoretisch, methodisch und in der Werkzeugentwicklung sehr viel weiter als bis zum einfachen Auszählen von Co-Occurences gekommen sind.
Eine anderes – leider nicht nur journalistisches – Wahrnehmungsmuster, das in einem Blog über Digital Humanities wohl thematisiert werden kann, ist die Unschärfe bzw. Ignoranz gegenüber dem Fachbereich, der diese Wandlungen auf der Entwicklungsseite vorantreibt: den Digital Humanities. Diese kommen in dem Artikel nämlich überhaupt nicht vor. Statt dessen scheint es (einmal mehr) so, als ob Methoden und Werkzeuge entweder einfach „da“ sind und in den Geisteswissenschaften nur aufgegriffen werden, oder dass sie – wie es am vorgestellten Projekt „Historical Semantic Corpus Management (HSCM)“ beschrieben – in Zusammenarbeit mit (wörtlich: „assistiert von“) einem „Informatiker“ entwickelt würden. Dabei wird unterschlagen, dass es eben nicht die allgemeine Informatik ist, die die informatische Wende in den Geisteswissenschaften ermöglicht, sondern mit den Digital Humanities eine eigene Disziplin, die von manchen zwar als „Fachinformatik“ klassifiziert wird, deren Wesen damit aber nur unzureichend zu fassen ist. Dabei reicht ein Blick auf die Webseite des Historical Semantic Corpus Management (HSCM), um zu sehen, dass das Projekt sich sogar selbst als „Digital Humanities Project“ bezeichnet. Dort ist dann zwar die Rede von einer Zusammenarbeit zwischen „humanities and informatics“. Die „informatics“-Seite wird dann aber vertreten von Alexander Mehler und der hat eben keinen Abschluss in „Informatik“, sondern „graduated in computational linguistics [… and] got his PhD in computational linguistics“ (so seine Website) – und das ist ja auch gut so, wenn man eben Verfahren zum Text-Mining in historischen Korpora braucht.
Charlotte Schubert
Lieber Herr Sahle,
hier geht es im Grunde genommen sehr grundsätzlich um den Stellenwert des Bereiches, der derzeit als Digital Humanities, Digitale Geisteswissenschaften oder auch eHumanities, manchmal auch Computational Humanities bezeichnet wird. Gerade die Vielfalt dieser Termini weist schon daraufhin, daß wir es mit einer begrifflichen Unschärfe zu tun haben. Womit dies im Einzelnen zusammenhängt, ist eine nicht in drei Sätzen klarzustellende Situation, aber diese Begriffsvielfalt deutet auf ein Phänomen hin, das vielen Geisteswissenschaftlern Sorge bereitet. Ich habe das kürzlich bei einem Vortrag in Leipzig angesprochen und damit ganz offensichtlich bei vielen meiner KollegInnen in den Geisteswissenschaften offene Türen eingerannt: Die meisten von uns kommen aus bzw. sind Mitglieder einer Fachcommunity, die ein klares inhaltliches Selbstverständnis und auch ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Methoden des eigenen Faches hat. Insofern ist der Bereich der Digital Humanities (pars pro toto für alle Begriffe) für diejenigen, die sich damit befassen, eine willkommene Erweiterung des Methodenspektrums des eigenen Fachs, die – zumindest ist das meine Erfahrung aus eAQUA – bei klar definierten Forschungsfragen mit Hilfe der neuen Möglichkeiten (z.B. Textmining – distant reading/ oder xml-Technologien für digitale Editionen – close reading) zu neuen Wegen und Ergebnissen führen kann.
Bis hierhin ist das derzeitig communis opinio (m.E. jedenfalls). Die spannende Frage stellt sich aber nun, wie es weitergeht. Im Hinblick auf die Forschung wird sich vermutlich dank der BMBF-Programme die Entwicklung verstetigen, da interessante Ergebnisse sich irgendwann auch durchsetzen (das ist wirklich „nur“ eine Frage der Zeit + der Förderprogramme).
Das Problem, um es nach diesem langen Vorspann auf den Punkt zu bringen, ist, wie sich diese Entwicklung auf die Fachdisziplinen auswirken wird. Soll ein neues Fach etabliert werden („Digital Humanities“ o.ä.) oder sollen die Geisteswissenschaften – möglichst viele von ihnen jedenfalls – ihr traditionell-hermeneutisch-kulturalistisches Methodenspektrum um diese neuen, stark von der Informationswissenschaft her geprägten Methoden erweitern?
Wenn man ein neues Fach propagieren will (vergleichbar etwa die Abspaltung der Kulturwissenschaften von dem Fach Geschichte seit ca. 1900), dann muß man Institute und Studiengänge einrichten, man muß für das Fach Inhalte und Methoden definieren, die eine Abgrenzung von den anderen Fächern deutlich machen. Wenn man eine wirklich weitgehende Breitenwirkung erreichen will, dann muß man auch darüber sprechen, ob ein solches Fach in den Kanon der Lehramtsfächer hinein soll.
Auf die Digital Humanities übertragen, wäre dies zuerst einmal die Frage nach den Inhalten und Methoden. Im Hinblick auf die Methoden ist das einfach, im Hinblick auf die Inhalte kaum möglich, da die Inhalte aus praktisch jedem Fach der Geistes- und Sozialwissenschaften stammen können. Nach meinem Verständnis handelt es sich bei den Digital Humanities um einen Methodenbereich, der sehr breit in den Geistes-und Sozialwissenschaften angewendet werden kann. Hiervon ausgehend würde ich die Rolle der Digital Humanities als die eines eigenständigen Methodenbereichs ansehen (vglb. etwa der qualitativen und quantitativen Sozialforschung). Aus diesem Grund meine ich, daß die Digital Humanities als Methode in die Grundlagenausbildung der Geistes- und Sozialwissenschaften integriert werden müssen (in die sog. Propädeutik). Die Einrichtung eigener, neuer Studiengänge als Digital Humanities-Fach halte ich demgegenüber für weniger sinnvoll, da damit gar nicht die – m.E. – nötige Breitenwirkung erreicht werden kann und auch die inhaltliche Beschreibung vermutlich an jedem Ort anders aussehen, d.h. nahe an die Beliebigkeit rücken würde.
Für mein eigenes Fach, Geschichte, ist die Situation derzeit sehr günstig: Der Historikerverband hat eine AG Digitale Geschichtswissenschaft sowie einen neuen Unterausschuss ‚Digital Humanities‘ eingerichtet und wird sich dieser hier skizzierten Fragen von der Position des in Lehre und Forschung sehr klar definierten Fachs Geschichte aus annehmen. In welche Richtung diese Diskussion gehen wird, kann ich natürlich noch nicht sagen, aber ich würde mich sehr wundern, wenn es etwas anderes wäre als die hier beschriebene Position. Genauso wundern würde ich mich, wenn die Historiker zum Vorreiter einer Entwicklung würden, aber andererseits ist mir nicht bekannt, daß ein anderer Fachverband bisher einen solchen Schritt unternommen hätte.
M.E. ist es jetzt an der Zeit, daß sich die Fachverbände mit dem Thema auseinandersetzen, ihre Positionen erarbeiten und dies nicht dem Feuilleton überlassen.
Datenpublikation und die Rolle der Informationswissenschaft | DHd-Blog
[…] Wissenschaftsdisziplin oder eine neuer Methodenbereich sind (vgl. exemplarisch diesen Kommentar von Charlotte Schubert) zeigt meiner Ansicht nach, dass wir die hier entstehenden Forschungsperspektiven ohnehin […]