DH-Kolloquium an der BBAW, 13.9.2019: Martin Grötschel: Digital Humanities – aus der Sicht von Mathematik und Informatik
Im Rahmen des DH-Kolloquiums an der BBAW möchten wir Sie herzlich zum nächsten Termin am Freitag, 13. September 2019, 17 Uhr s.t. im Einstein-Saal der BBAW einladen:
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Martin Grötschel, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW)
Digital Humanities – aus der Sicht von Mathematik und Informatik
Seit der Gründung der Telota-Initiative vor fast 20 Jahren, zu der ich den Anstoß gegeben habe, und speziell seit dem Beginn meiner BBAW-Präsidentschaft 2015 habe ich mich bemüht, dabei zu helfen, dass Werkzeuge der Informatik Einzug in die Geisteswissenschaften finden. Das wichtigste Ziel war zunächst, die Forschungsergebnisse der Akademie digital zu erarbeiten, zu dokumentieren, zu präsentieren und der Allgemeinheit kostenlos und nutzerfreundlich zur Verfügung zu stellen. Hierbei wird Informationstechnik insbesondere als wichtiges und nützliches Hilfsmittel zur Erleichterung der Arbeit, zur Verbesserung der Ergebnisdarstellung und zur Vergrößerung der Reichweite der Forschung eingesetzt. Das war und ist – trotz einiger Widerstände – in vielen Fällen erfolgreich geschehen und war der Anfang dessen, was wir heute mit Digital Humanities (DH) bezeichnen.
Damit sind meiner Meinung nach die Forschungspotentiale bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Was fehlt, ist eine echte wissenschaftliche Zusammenarbeit von Geisteswissenschaftlern mit Mathematikern und Informatikern. Um diese zu erreichen, muss gewährleistet sein, dass beide Seiten in den jeweils eigenen Fächern wissenschaftliche Erträge erzielen.
In meinem Vortrag werde ich auf die Entwicklung des Fachgebietes Operations Research (OR) eingehen, mit dem ich mich über viele Jahre befasst habe. OR entstand in den 1950er Jahren. Viele Wirtschaftswissenschaftler gaben dem OR keine Zukunft, sie bezweifelten noch 20–30 Jahre später, dass Mathematik beispielsweise in der Ökonomie sinnvoll eingesetzt werden kann. Heute ist OR sehr erfolgreich, viele Teilgebiete der Wirtschaftswissenschaften sind von Mathematik und Informatik durchdrungen.
Ich möchte die Parallelen, aber auch die Unterschiede von Digital Humanities und Operations Research erläutern und insbesondere darlegen, was aus meiner Sicht zu einer erfolgreichen Symbiose noch fehlt. Im Kern liegt das daran, dass sich mathematische Modellbildung (ich werde erklären, was das ist) in den Geisteswissenschaften aus verschiedenen Gründen als schwierig erweist – schwieriger als ich mir das gedacht hatte. Dazu ist es mit Blick auf die Geisteswissenschaften zum einen notwendig, dass Informatik, Mathematik, Softwareentwicklung und angrenzende Gebiete innerhalb gemeinsamer Projekte nicht länger vornehmlich als Dienstleister, insbesondere zur Lösung infrastruktureller Probleme, angesehen werden. Dienstleister denken nicht mit! Zum anderen fehlt m. E. in der geisteswissenschaftlichen Forschung das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer stärkeren Konkretisierung und v. a. Formalisierung (bzw. Modellierung) der eigenen Forschungsfragen. Erst dadurch wird Quantifizierung (und somit Bearbeitung durch Mathematik, Statistik, Informatik) möglich. Sind beide Voraussetzungen gegeben, können gemeinsame Projekt auf Augenhöhe für beide Seiten gelingen. Es gibt bereits Lichtblicke, vornehmlich in der Archäologie und der Linguistik. Einige werde ich erwähnen.
Ich hoffe, mit meinem Vortrag Anregungen geben zu können, wie die Digital Humanities weiter gestärkt werden können. Das Ziel muss sein, wissenschaftliche Ergebnisse zu erzielen, die mit anderen Methoden nicht erhalten werden können.
Die Veranstaltung findet im Einstein-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin statt.
Da die Teilnehmerzahl begrenzt ist, bitten wir Sie um Anmeldung per E-Mail an: DH-Kolloquium@bbaw.de.
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