Die DHd2019 als Treffen der EntdeckerInnen

1 Veröffentlicht von Enes Türkoglu am

Es wäre nicht ungerecht zu sagen, dass die Digital Humanities zuweilen einen ausgeprägten projektorientierten Charakter aufweisen. In ihrem Arbeitsalltag arbeiten die Digital HumanistInnen oft in eigenen Projektinseln. Sie beschäftigen sich mit fach- und projektspezifischen Fragestellungen und versuchen, Lösungs- und Forschungsansätze für die jeweiligen Projekte zu entwickeln und zu implementieren. Häufiger werden diese Projektinseln in einem geisteswissenschaftlichen Fach verortet. Während immer mehr Digital Humanities Zentren gegründet werden, um die unterschiedlichen Lösungs- und Forschungsansätze zu bündeln, arbeiten viele Digital HumanistInnen auf ihrer Insel dennoch in der Isolation. Es gibt ein gewisses Selbstverständnis, eine unausgesprochene Übereinkunft darüber, dass die geisteswissenschaftlichen Fragestellungen fachspezifisch sind und daher jeweils eigener Methoden zur Lösung erfordern; unabhängig davon, dass oft ähnliche Technologien benutzt werden.

Abgesehen von der Diskussion, ob Digital Humanities Aktivitäten immer auf bestimmten Inseln stattfinden sollten, muss man verstehen, dass das Arbeiten in der Isolation für Digital HumanistInnen gewisse Konsequenzen hat. Zum einen erzeugen die Projektorientierung und die engen Rahmbedingungen eine Situation der definitorischen Problematik, die der Identitätsbildung des Faches entgegensteht. Zum anderen kommt es häufiger vor, dass mehrere Digital HumanistInnen auf die gleichen Probleme in unterschiedlichen Fachkontexten stoßen, ohne zu wissen, dass das Problem nicht nur sie allein betrifft, und dass die Lösungen, wenn auch nicht generalisierbar und spiegelbildlich implementierbar, möglicherweise in pragmatisch-philosophischer Form auf einer anderen Insel schon erarbeitet worden sind (Thaller 2012).

Am Anfang meiner Forschung als Digital Humanist war es zumindest so, dass ich mich häufiger isoliert gefühlt habe, und das, obwohl ich an der Universität zu Köln studiere, die für sich eine eHumanities-Tradition etabliert hat. Während man versucht, seine eigene Insel zu entschlüsseln, aber sich dabei auch bemüht, andere Inseln zu erforschen und deren Probleme, Herausforderungen und Lösungen zu verstehen, und man wiederum von anderen Digital HumanistInnen erwartet, dass sie das gleiche mit der eigenen Insel tun, ist das Gefühl auf einer Insel zu arbeiten nicht trivial.

Die Insel-Metapher mag in diesem Kontext melancholisch klingen, aber sie versetzt uns gleichzeitig in die Lage, die Digital Humanities in einem heroischen Zusammenhang zu definieren. Die Insel-Metapher muss nicht unbedingt im Sinne eines auf-einer-Insel-Stecken-Bleiben verstanden werden, sondern eher in einem explorativen Kontext, wie ihn z. B. Willard McCarty als „archipelago“ imaginiert hat. Mit diesem Twist werden Digital HumanistInnen nicht als Herren einer bestimmten Insel verstanden, sondern als maritime EntdeckerInnen, die die Segel hissen und in See stechen (McCarty 2005, 2014).

Von dieser Perspektive ausgehend war die 6. Jahrestagung des Verbands Digital Humanities im deutschsprachigen Raum für mich überwältigend und inspirierend zugleich. Stellen Sie sich das einmal vor: Mit über 500 Teilnehmern und 135 Beiträgen ist das schon eine Menge erfahrener EntdeckerInnen, die gut strukturierte aber auch sehr exotische Geschichten von ihren Abenteuern erzählen. Ich als Nachwuchswissenschaftler konnte meine Nervosität darüber nicht unterdrücken, vor so vielen Forschenden vorzutragen. Ist meine Entdeckungsreise interessant genug? Macht das, worauf ich in der „Isolation“ gestoßen bin, für die anderen Forschenden Sinn? Darf ich mich überhaupt Entdecker nennen?

Interessant ist, dass der Begriff der Isolation im Rahmen der Tagung für mich abgeschwächt wurde. Nach jeder Session, an der ich teilnahm, ließ die Nervosität nach. Obwohl die Themen sehr divers waren, konnte man den gemeinsamen Nenner spüren. Ich behaupte, dass ich im Laufe dieser Sessions verstanden habe, warum „archipelago“ so eine schöne Metapher für DH-Aktivitäten ist. Unabhängig davon, welche Ufer besucht werden, ist ein gemeinsames Interesse ein neues Weltverständnis, das durch die Entdeckungsprozesse entsteht. Neue Ufer, neue Prozesse, ständig aktualisierte Weltverständnisse…

Literatur:

McCarty, Willard (2005): „Tree, Turf, Centre, Archipelago—or Wild Acre? Metaphors and Stories for Humanities Computing“. Literary and Linguistic Computing, Volume 21, Issue 1, April 2006, 1–13, https://doi.org/10.1093/llc/fqi066

McCarty, Willard (2014): „Getting There From Here. Remembering The Future Of Digital Humanities: Roberto Busa Award Lecture 2013“. Literary and Linguistic Computing 29, no. 3, 289-295, http://doi.org/10.1093/llc/fqu022

Thaller, Manfred (2012): „Controversies Around The Digital Humanities: An Agenda“. Historical Social Research 37, no. 3, 12-13, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-378617

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    So war’s auf der #DHd2019 in Mainz und Frankfurt: Berichte der Reisestipendiat*innen | DHd-Blog

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    […] Enes Türkoglu, Die DHd2019 als Treffen der EntdeckerInnen , in: 23.4.2019, https://dhd-blog.org/?p=11622. […]

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