Tagungsbericht – Science MashUp 2025 (10. Mai  2025, HTWK Leipzig)

0 Veröffentlicht von Alina Menten am

Am 10. Mai 2025 öffnete die HTWK Leipzig ihre Türen zur „Langen Nacht der Computerspiele“. Im Rahmen dieser Veranstaltung fand die hybride Fachtagung “Science MashUp“ statt, organisiert von Prof. Dr. Gabriele Hooffacker in Kooperation mit Dr. Benjamin Bigl und Dr. Sebastian Stoppe, welche durch das Programm führten. Die jährliche Tagung, die nun bereits zum sechsten Mal stattfand, widmete sich in diesem Jahr der komplexen Beziehung zwischen digitalen Spielen und Büchern und bot eine interdisziplinäre Plattform Raum für den Austausch zwischen Interessierten, Lehrenden und Akteur:innen aus der Spieleindustrie sowie Forschenden aus Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft, Game Studies und Digital Humanities.

Einführung

Der Rektor der HTWK Leipzig Prof. Dr. Jean-Alexander Müller eröffnete die Tagung mit einem Grußwort. Dabei hob er hervor, dass die Verbindung von Games und Büchern auf den ersten Blick möglicherweise nicht offensichtlich erscheint, beide Medienformen jedoch eine herausragende Rolle in Kultur und Bildung einnehmen. Er plädierte für ein integratives Verständnis, das die mediale Vielfalt als Chance begreift, anstatt die Medien in Konkurrenz zu setzen.

Wie ein Zusammenspiel der Medien konkret aussehen kann, verdeutlichten Jonathan Werneburg (10) zusammen mit seinem Vater Dr. Sebastian Stoppe in der anschließenden Keynote „Games und Bücher – ein Primer aus dem Kinderzimmer“. Hier stellen sie die Buchwerke der Influencer Benx (Benjamin Krüger) und Paluten (Patrick Mayer) vor, die das Spieluniversum Minecrafts (Mojang, 2009) originär erweitern. Bücher wie Die Schmahamas-Verschwörung (2018) oder Benx und die Hexen der Bataquampa (2021) sind dabei keine offiziellen Erweiterungen des Franchises, sondern eigenständige Erzählungen, die sich narrativer und ästhetischer Elemente der Spielwelt und der Marke bedienen. Vater und Sohn verdeutlichen, dass durch diese literarischen Erweiterungen ein komplexes intermediales Medienfeld entsteht, das nicht nur die analogen Bücher und das digitale Spiel umfasst, sondern auch weitere Facetten der Spielkultur aufgreift: die Geschichten der Influencer und die Aktivitäten ihrer Communities.

Panel 1: „Narrative Strukturen und Erzähltechniken in Games und Büchern”

Der erste von drei Vortragsblöcken bot facettenreiche Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen digitalen Spielen und literarischer Narration.

Robert Böhm analysierte in „Vom unzuverlässigen Erzähler zum unzuverlässigen Avatar“ anhand von Beispielen die Missachtung des Kooperationsprinzips in narrativen Spielen. Er analysierte dabei das Spannungsfeld zwischen konsistenter Erzählkonstruktion und zufallsbasierten Mechanismen, die zu einer ludonarrativen Dissonanz führen.

Leon Noel Micheel erläuterte in “Dem literarischen System auf der Spur: Untersuchungen zu einem intermedialen Literaturkonzept“, unter Rückgriff auf den Ansätzen von Frasca (2003), Aarseth (1997) und Ingarden (1972), die strukturellen Unterschiede von Spielen als simulational media gegenüber Büchern als representational media. Spiele eröffnen somit nicht nur Erzählräume, sondern auch aktive Partizipation.

Lara Konkel zeigte in “Katharsis next Level: Multiperspektivisches Erzählen und Identifikationsangebote in THE LAST OF US PART II“ auf, wie in diesem Spiel multiperspektivisches Erzählen Empathie fördert und moralisch komplexe Identifikationsangebote schafft. So werden Spielende in ambivalente Konflikte eingebunden, die bestehende Narrative von Rache und Vergeltung hinterfragen.

Roberto Zeugner schließlich analysierte in “„The Stanley Parable“ als performative Parabel im Unterricht” wie das Spiel durch ständige Meta-Narration und wiederkehrende Entscheidungen die Agency der Spielenden reflektiert. Gleichzeitig identifizierte er Potenziale für philosophische und ethische Diskussionen im schulischen Kontext.

Abschließend verdeutlicht dieser Block, dass die Digital Humanities durch die Analyse narrativer Strukturen und interaktiver Erzähltechniken in Games einen erweiterten Zugang zu Fragen von Partizipation, Ethik und kultureller Codierung bieten.

Panel 2: “Medienübergreifende Aspekte und kulturelle Bedeutung von Spielen und Büchern”

Das zweite Panel beleuchtete die vielfältigen Schnittstellen zwischen digitalen Spielen und Literatur sowie deren kulturelle und ästhetische Bedeutung.

Lena Falkenhagen kritisiert in „Zwischen Trivialisierung und Droge: Games im Kulturjournalismus“ die geringe kulturelle Anerkennung von Spielen. Sie zeigte auf, dass Berichterstattung zu Games selten im Kulturressort erscheint und häufig auf problematische Themen wie Sucht oder Rechtsextremismus verengt wird. Nur herausragende ästhetische oder musikalische Leistungen verschaffen Spielen punktuell Anerkennung und den Feuilleton-Redaktionen einen vermeintlich leichteren Zugang.

Prof. Marcus Klöppel und Prof. Dr. Christian Bachmann diskutierten in “Formen narrativer und spielmechanische Hybridität von Comic, Spiel und Buch” die medialen Überschneidungen hybrider Formate. Bachmann betonte die Medialität und Materialität von Büchern über deren literarischen Gehalt hinaus und analysierte Spielbücher und -Comics als Verbindungen von Lesefluss und Spielmechanik. Klöppel hob die Potenziale hybrider Formate wie „Exit Games“ und „Adventure Games“ hervor, die kognitive und soziale Kompetenzen fördern und neue Schnittstellen zwischen Literatur, Spiel und Gemeinschaft schaffen.

Ich, Alina Menten, untersuchte in “Romantik reloaded? Die literarischen Spuren des Waldes in schwedischen Games” die Rolle des Waldes als ästhetisch-romantisches Motiv anhand des Spieles Bramble: The Mountain King (Dimfrost Studio, 2023). Dabei arbeitete ich heraus, wie die digitale Naturästhetik romantische Traditionen aufgreift und in den Kontext gegenwärtiger Narrative übersetzt.

Prof. Dr. Dr. Rudolf Inderst schloss dieses Panel mit seinem Vortrag “„No Running in the Library!“ Zu Bedeutung und Funktion des Schauplatzes ‚Bibliothek‘ in digitalen Spielen”. Er demonstrierte anhand mehrerer Beispiele, wie Bibliotheken in Spielen nicht nur Kulissen sind, sondern als Orte des Wissensspeicherns fungieren, wie etwa durch das Sammeln des spielinternen Wissens in The Elder Scrolls V: Skyrim (Bethesda Game Studios, 2011) oder durch die Zugänglichmachung realer zensierter Artikel auf dem von der Organisation Reporter ohne Grenzen betriebenen Minecraftserver „The Uncensored Library“.

Abschließend zeigt dieses Panel auf, wie digitale Spiele medienübergreifende ästhetische Praktiken und Bedeutungsräume erschließen. Für die Digital Humanities eröffnet sich hier ein zentrales Forschungsfeld, das interdisziplinäre Perspektiven auf Narrative, Materialität und gesellschaftliche Diskurse in digitalen Kulturen ermöglicht.

Panel 3: “Interaktive Formate und die Rolle des Spielers”

Das dritte und letzte Vortragspanel widmete sich interaktiven Formaten und der vielseitigen Rolle der Spieler:innen in Spielwelten.

Prof. Nadine Trautzsch zeigte in „Interactive Fiction und KI: Narrative Freiheit als Weg zu digitaler Kompetenz“, dass Interactive Fiction als pädagogisches Werkzeug Entscheidungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit fördert. Sie stellte verschiedene Tools sowie den Einsatz von KI für die Erstellung fiktionaler Werke vor. 

Melanie Fussenegger betrachtete in “Games als Gedichte lesen am Beispiel von „Monument Valley“” digitale Spiele als „Game Poems“ (vgl. Magnuson 2023). Damit eröffnete sie einen innovativen Ansatz zur literarischen und ästhetischen Analyse von Spielen.

Lara Konkel beleuchtete in ihrem zweiten Vortrag des Tages “GONE HOME und niemand zu Hause. Der Walking Simulator zwischen Videospiel und Detektivroman” das hybride Format des Walking Simulators, das Detektivroman-Elemente aufgreift und Spieler:innen in die Diegese integriert. Sie zeigte, wie hier eine besondere Form von Agency und multiperspektivisches Erzählen entsteht.

Prof. Jörg Burbach schloss die Vortragspanels mit seinem online gehaltenen Vortrag in “Von Spielern geschrieben: Der kulturelle Effekt von User Generated Content in Büchern und Spielen”. Er zeigte, wie partizipatives Storytelling in Spielen und Büchern eine neue Ebene der Immersion und kollaborativen Autorschaft schafft.

Abschließende Podiumsdiskussion „Games und Bücher“

Die Beiträge wurden durch eine abschließende Podiumsdiskussion mit Leon Noel Micheel (Bildung), Prof. Dr. Dr. Rudolf Inderst (Game Studies), Melanie Fussenegger (Games-Branche) und mir als Entwicklerin ergänzt. Zunächst fokussierte sich die Diskussion auf die Rolle von Büchern als Inspirations- und Quellenmaterial in der Spielentwicklung, verlagerte sich jedoch rasch auf die Produktion von Games und den Einsatz Künstlicher Intelligenz.

Diskutiert wurden ethische und rechtliche Fragestellungen wie unklare Urheberrechtslagen, die Gefahr inhaltlicher Vereinheitlichung („Einheitsbrei“) bei KI-generierten Inhalten sowie der wachsende Bedarf an Fachwissen. Gleichzeitig wurde das Potenzial von KI betont, kreative Prozesse wie Übersetzungen zugänglicher zu machen – vorausgesetzt, ihr Einsatz erfolgt transparent und reflektiert. Deutlich wurde zudem, dass der Diskurs um KI hoch emotional geführt wird und differenzierte Aufklärung über Chancen und Risiken entscheidend ist, um sowohl Verteufelungen als auch überhöhte Erwartungen an diese Technologie zu vermeiden.

Die „Lange Nacht der Computerspiele“

Im Anschluss an die Fachtagung bot die „Lange Nacht der Computerspiele“ vielfältige Einblicke in die Praxis digitaler und analoger Spielkulturen. Indie-Entwickler:innen präsentierten ihre Spiele zum Testen, ergänzt durch Retro-Klassiker und analoge Spiele. Im „Minecraft-Raum“ wurden grundlegende Programmierkenntnisse vermittelt, während Trading-Card-Fans in einem eigenen Raum spielerisch ihr Wissen vertiefen konnten. Arbeiten verschiedener Artists und ein E-Sports-Turnier in „League of Legends“ rundeten das Programm ab.

Dieser Beitrag entstand mit Unterstützung des DHd-Reisekostenstipendiums. Mein herzlicher Dank gilt der Organisation für die Ermöglichung meiner Teilnahme an der Konferenz.

Genannte Werke 

Spiele

Bramble: The Mountain King. Dimfrost Studio, 2023.
The Elder Scrolls V: Skyrim. Bethesda Game Studios, 2011.
The Last of Us Part II. Naughty Dog, 2024.
The Stanley Parable. Galactic Cafe, 2011.
Minecraft. Mojang, 2009.
Monument Valley. ustwo studio Ltd., 2014.

Literatur

Aarseth, E.J. (1997): Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press.
Frasca, G. (2003): Simulation versus Narrative: Introduction to Ludology. London: Routledge.
Ingarden, R. (1972): Das Literarische Kunstwerk. Halle (Saale): de Gruyter.
Kern, K.; Mayer, P. (2018): Die Schmahamas-Verschwörung. Köln: CE Community Editions.
Magnuson, J. (2023): Game Poems: Videogame Design As Lyric Practice. Amherst, MA: Amherst College Press.
Rackwitz, T. (2021): Benx und die Hexen der Bataquampa. Köln: CE Community Editions.

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